Um auch mit dem Kapitel Lesbos und meiner Reise abzuschließen möchte diesen letzten Blogeintrag den Flüchtlingen widmen und eine Idee davon geben wer da eigentlich zu uns auch nach Deutschland kommt. Ich habe in den letzten Einträgen oft von “den Flüchtlingen” geredet, wobei es natürlich keine einheitliche Gruppe von Flüchtlingen gibt. Aber auch wenn ich immer mein Bestes gegeben habe, die einzelnen Menschen nicht als Objekte zu behandeln, war es besonders in hektischen Momenten, wenn viele Menschen gleichzeitig ankommen, sehr schwer die Herzlichkeit und individuelle Anerkennung zu bewahren. Und das fängt beim Blickkontakt während der Essensausgabe an und es kann sehr schnell passieren, dass es zu einer sehr schnellen und sehr unpersönlichen Abhandlung von Massen, nicht Menschen, wird.

Aber besonders in ruhigen Momenten, wenn Zeit ist für Gespräche oder einfach Blicke, die man sich gegenseitig schenkt, weiß man wieder, dass es sich bei ‘den Flüchtlingen’ um Menschen wie dich und mich handelt. Und es sind diese Momente, die die Zeit auf Lesbos so besonders gemacht haben. Wenn ich Müll gesammelt habe und ein Kind mich nach weiteren Handschuhen fragt. Wenn uns Flüchtlinge freiwillig oder auf Bitten helfen Wasser in großen Kanistern zu holen oder essen zu verteilen. Wenn zaghafte Gespräche in unbefangenen Unterhaltungen enden, wenn gemeinsam Musik gemacht und gesungen, wird, bei Tauzieh-kämpfen und Fußballturnieren.

Dann erfährt man, wie vielseitig die Hintergründe sind. Wie furchtbar fast jedes einzelne Schicksal. Vielseitig ist auch die Vorstellungen von Europa und der eigenen Zukunft. Manche haben konkrete Ziele und Wünsche. Würden gerne studieren, Musik machen und weiter Hiphop unterrichten. Andere wären schon glücklich einfach 3 warme Mahlzeiten am Tag zu bekommen und sind dafür auch bereit illegal in Europa zu bleiben und auf dem Arbeitsmarkt ausgenutzt zu werden. Für Andere spielt das Wetter eine wichtige Rolle. Regen und Kälte ist man in den meisten Ländern des Mittleren Ostens nicht gewöhnt (was sich auch in der dünnen Kleidung und schlechten Wintervorbereitung bermerkbar macht).

Und natürlich, neben den schönen Erfahrungen gibt es auch traurige oder frustrierende Momente. Einmal gab es fast ne Schlägerei vor dem Tea-Zelt in Moria – was hauptsächlich daran lag, dass die Schlange endlos lang war, weil wir der einzige geöffnete Essensverteilungspunkt waren. (Das Suppenzelt, was sonst 24/7 Suppe verteilt, musste wegen Protesten der Kommerziellen Anbieter auf dem Camp-Gelände vorrübergehend schließen.)

Je länger die Wartezeiten sind, desto größer ist natürlich die Anspannung und wir waren mit der Verteilung einfach zu langsam. Es wollte allerdings auch keiner der Flüchtlinge freiwillig mithelfen.
Später (nachdem ich auf Grund der Schlägerei kurz eskaliert bin und alle Männer rund um das Teezelt vertrieben habe (haha)), hatten wir allerdings ein großartiges Team von 3 Marrokanern, die mit viel Yalla Yalla die gesamte Menge in kürzester Zeit mit Tee versorgt haben. Da war der Frust schon wieder vergessen, vor allem da Marrokaner die besten aller Partymacher sind (insbesondere im Dasein von Kameras).

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An einer Nachtschicht im Oxy habe ich außerdem Ali kennengelernt, der nicht schlafen konnte und deswegen mit Sophie, einem Nachtwächter und mir stundenlang das türkische Okey gespielt hat. Ali kommt aus dem Iraq und ist ein sehr ruhiger Typ, der nicht viel redet und vielleicht sogar ein bisschen schüchtern ist. Zwischendurch kam eine Frau von der UN und hat nach einer Zigarette gefragt. Ali hat ihr ein komplett neues Paket gegeben und ließ sich auch von Protesten nicht abhalten. Später meinte er nur ‘Cigarrettes are the last thing that I care about right now’. Aber ich denke es ist auch eine Frage von geben und nehmen. Viele Menschen hier machen auch uns Volunteers Geschenke und man fühlt sich unglaublich schlecht etwas anzunehmen in dem Wissen, dass die Flüchtlinge selbst kaum etwas besitzen. Ich denke es ist auch eine Frage der Würde: schenken ist etwas so schönes, auch für den Schenker. Und ständig anzunehmen ist gar nicht so einfach, weil es auch das Gefühl von Hilflosigkeit und Bedürftigkeit vermittelt. Als Ali den Bus nach Moria nehmen musste, wollte mir unbedingt sein Silberarmband schenken. Ich habe es mit all meiner Überzeugungskraft probiert, aber letztenendes konnte ich nicht ablehnen. Als er mir später erzählte, dass er es 6 Jahre lang trägt, ohne es je ausgezogen zu haben, fühlte ich mich noch schlechter aber im nachhinein freue ich mich und werde es tragen bis wie uns wiedersehen, dann kriegt er es zurück (das war der Deal).

Alis Geschichte ist eine der wenigen, die ich bis nach Deutschland mitverfolgen konnte. Nach 5 Tagen rief er mich an, um mir mitzuteilen, dass er jetzt in Deutschland angekommen ist (eine Rekordzeit!). Leider war er unglaublich frustriert: die Massenunterkunft in Oldenburg bestand aus einer alten Tennishalle, irgendwo im Nirgendwo in einem Industriegebiet, wo man keine Menschenseele auf der Straße antrifft. Man stelle sich nur den Kontrast zum Iraq vor: sonnig, warm, viele Menschen überall. Dagegen Ali, in der Pampa, im damals auch noch total kalten und verregneten Oldenburg, ohne mobil zu sein, um zumindest das Stadtleben erleben zu können. Alle neuen Familien, die zur Tennishalle gebracht werden, verlassen sie so schnell es geht, weil es einfach weit und breit nichts gibt. So war Ali, mit noch 2 weiteren Jungs, auch noch der einziege Flüchtling in dieser viel zu großen Massenunterkunft. Sein einziger Kommentar am Telefon war ‘I go back to Iraq. I feel like a dog here’.

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Vor der Abfahrt hatte ich Ali die Internetseiten mitgeteilt, die Informationen über die Integrationsmöglichkeiten in jedem Land und sogar jeder Stadt in Europa zusammen gesammelt haben. Eine davon ist www.w2eu.info (way to Europe). Ich hätte mittlerweile wissen können, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass er sich die Informationen raussucht und bevor Ali freiwillig zurück in den Iraq geht, informierte mich meinerseits.

Ich erfahre: Oldenburg hat nicht nur einen Boxclub, der umsonst Kurse für Flüchtlinge anbietet, es gibt auch ein Integrationscenter mit Arabisch sprechendem Personal.
Kurzum rufe ich im Integrationscenter an – Ali solle sich erst telefonisch melden und dann einfach vorbeikommen. Ich gebe Ali die Telefonnummer und 10 Min später ruft mich ein total euphorisch-glücklicher Ali an: ‘Die haben gesagt, sie regeln alles für mich!’. Ich soll Ali erklären wie er zum Büro kommen kann, das mache ich natürlich gerne. Ali geht zum Taxistand (mit einem weiteren Flüchtling aus der Tennishalle), ruft mich an, ich teile dem Taxifahrer den Zielort mit.

Am Ende hat Ali es innerhalb von 5 Tagen nicht nur geschafft ganz durch Europa nach Deutschland zu reisen, am 6. Tag hat er seinen Deutschkurs in Oldenburg begonnen und der Asylantrag wurde von den Mitarbeitern im Integrationscenter in die Wege geleitet. Am Ende lief es doch noch anders und Ali ist mittlerweile in Berlin, aber er hat seine Duldung, wartet noch auf die Anerkennung als Flüchtling, hat ein Bahnticket sowie die nötige ärztliche Versorgung und nimmt weiterhin Deutschunterricht. Im Grunde lief alles wie am Schnürchen, aber man sieht, dass es gerade für den Start Unterstützung seitens der Einheimischen braucht, die eben wissen an welche Adressen man sich wenden kann und muss. Für mich war es ein Leichtes die 2,3 Anrufe zu tätigen, aber der Effekt ist riesig.

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Natürlich weiß ich, dass es so nicht für alle Flüchtlinge abläuft. Die langen Wartezeiten, insbesondere in den großen Städten, am LaGeSo in Berlin insbesondere, befinden sich tagtäglich in den Medien.
Nichts desto trotz finde ich es wichtig auch Geschichten wie die von Ali zu erzählen. Um zu zeigen, dass es funktionieren kann und funktioniert. Vielleicht besser in kleineren Städten und Gemeinden als in unserer Hauptstadt. Und auch wenn ich weiß, dass Ali Vorteile hatte: er ist alleine unterwegs, jung, geduldig, kann Englisch und ist nicht mittellos – dennoch ist es Tatsache, dass Ali 2 Tage in Deutschland war und den Deutschkurs begonnen hat. Und das finde ich großartig und macht mich sogar ein bisschen Stolz auf Deutschland und die Organisation, die sich im Zuge der Flüchtlingsströme auch durch eine große Anzahl engagierter Freiwilliger entwickelt hat. Angefangen bei der W2EU-homepage bis zu den Mitarbeitern des privaten Integrationscenters in Oldenburg. Ich kann nur hoffen dass es auch für die übrigen Flüchtlinge zukünftig besser laufen wird und kann hoffentlich mit dem Eintrag zu neuer Motivation beitragen. Ali werde ich bei nächster Gelegenheit in Berlin besuchen.

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Bevor ich nach Lesbos gekommen bin habe ich mich oft gefragt wie genau die Flüchtlinge eigentlich von der Türkei nach Europa kommen.
Wie läuft das mit den Schleppergruppen, wie organisieren die sich, was kostet so eine Überfahrt überhaupt und wie kommen die Schlepper wieder zurück in die Türkei?

Ich habe mich außerdem gefragt warum die Familien überhaupt den gefährlichen Weg über die Agave antreten und dabei das Risiko eingehen ihre Kinder oder das eigene Leben zu verlieren.
Viele haben das Meer noch nie zuvor gesehen, Afghanistan zum Beispiel ist ein ‘Land-locked’ country und hat gar keine Küste.
Warum also begeben sich die Flüchtlinge sich nochmal (freiwillig) in die Gefahr des Todes wenn die Sicherheit in der Türkei doch gewährleistet ist?

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In den 6 Wochen, die ich auf Lesbos verbringen durfte, habe ich auf viele dieser Fragen Antworten gefunden. Darüber hinaus erfährt man allerdings viel viel mehr, viele Dinge, die in den Medien nicht thematisiert werden und bei denen ich heute noch ungläubig den Kopf schütteln muss. Ein paar dieser Einblicke werde ich in diesem Eintrag teilen, in Form von ‘Not so much “FUN-FACTS”‘ über Lesbos und die Flüchtlinge.

1. Warum treten die Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt an?
Zu allererst muss man klarstellen dass es bei der Überfahrt zwar immer wieder Todesfälle und Vermisste gibt, die meisten der Boote, die sich auf den Weg nach Lesbos machen, aber sicher ankommen.
Die Medien berichten natürlich vornehmlich die dramatischen und tragischen Einzelfälle, aber darüber hinaus vergisst man leicht, dass tagtäglich tausende Menschen die Insel erreichen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Überfahrt also etwas schief geht, ist dementsprechend kleiner als sie erscheint und das senkt das wahrgenommene Risiko auf Seiten der Flüchtlinge erheblich.

Dazu kommt, dass die Situation in der Türkei nicht wirklich als lebenswert zu bezeichnen ist. Es gibt kaum staatliche Unterstützung außerhalb der Erstaufnahmelager und eine Sicherheit langfristig geduldet zu werden, gibt es nicht. Das Vertrauen in die europäische Politik ist da größer als in die Türkische Regierung. Das ist verständlich, wenn man hört wie brutal die Türkische Polizei gegen die Flüchtlinge vorgeht und wie hoch anscheinend auch die Feindlichkeit in der Türkischen Bevölkerung ist. Diese Information basiert allerdings nur auf einige Berichte der Flüchtlinge.

2. Herkunftsländer der Flüchtlinge.
Zu meinem Erstaunen kommen die Flüchtlinge nicht nur aus Syrien, Iraq oder Afghanistan, sondern aus vielen verschiedenen Ländern wie z.B. Pakistan, Iran, Marocco, Algerien, Somalia, Eritrea,…
Es sind viel mehr Länder als ich erwartet hatte. Mein Plan ein bisschen Arabisch zu lernen habe ich verworfen, weil es unter den Arabisch sprechenden Gruppen fast immer Menschen gibt, die in Englisch oder Franzoesisch übersetzen können. Farsi/Persisch oder Urdu werden viel dringender benötigt, weswegen ich begonnen habe Farsi zu lernen. Jetzt heiße ich jeden Iranischen oder Afghanischen Flüchtling mit ‘Hosh Ahmadid’ willkommen :).

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Die Vielfalt an Herkunftsländern, Sprachen und Kulturen in so kleiner Umgebung ist faszinierend! Neben den Flüchtlingen sind nämlich auch die Volunteers aus der ganzen Welt eingeflogen. Es gibt Helfer aus quasi allen Europäischen Ländern, Nord-, Zentral- und Südamerika, aber auch Neuseeland, Israel,… wirklich aus der ganzen Welt. Darunter befinden sich natürlich eine große Kulturelle und religiöse Vielfalt. Viele Freiwillige haben eigene Flüchtlingserfahrungen gemacht und leben aber seit Jahren in Europa oder Amerika. Wiederum manche Freiwillige sind von verrückten Motivationen geleitet: zwei Brasilianer starten zum Beispiel ein Projekt, was die Flüchtlinge davon abhalten soll die Schlepper zu zahlen und stattdessen ein Flugticket nach Brasilien zu kaufen, um dort ein neues (vom Privatsektor finanziertes) Leben zu beginnen. Verrückt! Wie die Zwei auf Lesbos kommen weiss der Geier, aber in Anbetracht der Überfahrtspreise von bis zu 1500 Dollar für einen Erwachsenen und 700-900 für Kinder, ist die Idee gar nicht so illusorisch.

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3. Die Bootsüberfahrt!
Ich habe oben schon erwähnt, dass die 8km lange Überfahrt teuer ist. Kinder kosten zwischen 700 und 900 Dollar, erwachsene Flüchtlinge haben nach eigener Angabe bis zu 1500 zahlen müssen. Angesichts der Tatsache, dass teilweise bis zu 15-köpfige Familien in Lesbos ankommen, kann man sich vorstellen, dass es generell nicht die ärmsten Menschen sind, die zu uns nach Europa kommen. Dennoch fangen hier die Unterschiede zwischen den reichen und den ärmeren Flüchtlingen an. Die meisten von Syrern besetzen Boote sind relativ sicher: die Qualität der Boote ist höher und sie sind bei weitem nicht so überfüllt wie dvon ärmeren Flüchtlingsgruppen besetzten Boote. Ein Syrer hat sogar ein Fahrrad mit rüber transportieren lassen, wohingegen der Rollstuhl eines Afghanen schon mal über Bord geworfen wird.

Für die richtig Armen gibt es dann noch einen Schlecht-Wetter-Rabatt (!) und auch auch die Überfahrt bei Nacht ist günstiger. Da passiert es dann besonders häufig, dass der Motor schon wenige Kilometer hinter der Türkischen Küste versagt. Glücklicherweise können die Flüchtlinge dann eine Hotline anrufen (ich weiß nicht woher die diese Informationen haben, aber irgendwie haben sie sie erhalten), und über Telefon wird erklärt wie man den Motor wieder reparieren kann (mit Erfolg!).

Da die Schlepper natürlich in der Türkei bleiben wollen, wird meistens ein Mann unter den Flüchtlingen ausgewählt, der dann das Steuer übernehmen muss – ob er will oder nicht. Obwohl die Flüchtlinge unter Umständen noch nie auf oder im Wasser gewesen sind, und die meisten nicht schwimmen können. Proteste werden nicht anerkannt, auch nicht, wenn die Wellen zu hoch sind. Manche Flüchtlinge berichteten davon, mit der waffengewalt gezwungen worden zu sein die Überfahrt anzutreten. Der Bootsmangel führt dazu, dass die Schlepperbanden probieren Boote mehrfach zu verwenden. Einer der Schlepper kommt also mit um das Boot danach zurück zu führen. Wir hatten die Situation, dass die Freiwilligen den Schlepper der Polizei ausliefern wollten, aber die Flüchtlinge haben sich für ihn eingesetzt. Warum? Es stellte sich heraus, dass die Schleppergruppen extra Familien getrennt hatten: Frauen und Kinder mussten auf der Türkischen Seite bleiben, als Garantie dafür, dass das Boot auch die Rückfahrt antreten kann. Ekelhaft ist so was.

4. Das Flüchtlings-Business
Wenn über Monate hinweg mehrere Tausend Menschen von der Türkei nach Europa kommen, entstehen nicht nur neue Strukturen im Sektor der humanitären Hilfe, es entstehen auch viel kommerzielles Business. Teilweise in akzeptabler Form, wenn Essen, Zelte, Schlafsäcke, oder Simkarten (nicht überteuert) verkauft werden; teilweise stehen aber betrügerische Absichten im Vordergrund und Flüchtlinge werden in Ihrer Notsituation auf ekelerregende Weise ausgenutzt.
Zum Beispiel gibt es auf der Türkischen Seite eine richtige Industrie für Schwimmwesten. In Izmir habe ich Geschäfte gesehen, die nichts anderes als Schwimmwesten verkaufen (obwohl das wohl jetzt anscheinend verboten worden ist).

Neben normalen Qualitätsunterschieden gibt es auch Westen (oftmals mit einem Fake-YAMAHA Schriftzug versehen, welcher wohl Vertrauen erwecken soll), die im Falle von Bewusstlosigkeit die Rückenlage nicht beibehalten. So ertrinken die Flüchtlinge, auch wenn sie über Wasser gehalten werden. Im schlimmsten Fall aber ist das Innenmaterial von so schlechter Qualität, dass es sich mit Wasser vollsaugt und damit die FLüchtlinge zusätzlich erschwert.

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Das ist nicht das einzige Business das profitiert:
Ich habe schon in früheren Beiträgen berichtet, dass die Volunteers auf Lesbos sehr gut organisiert sind, Übersicht über die Flüchtlingsboote zu bewahren und durch professionellen Fernrohre den Weg der Boote nachvollziehen… Dennoch, besonders bei Nacht sind es oftmals nicht die Volunteers, die als erstes über Ankunftsort und -Zeit Bescheid wissen, sondern die griechische Motor-Mafia!
Die reißen sich dann so schnell es geht den Motor der Gummi- oder Holzboote unter den Nagel und kümmern sich nicht sonderlich um die Flüchtlinge. Die größten Streitigkeiten habe ich nicht unter Flüchtlingen, sondern unter Griechen erlebt, die sich (vor den Augen der Flüchtlinge) lauthals um den Motor gestritten haben. Es ist ein lukratives Geschäft, da die Motor- und Schlauchbootproduktion (aus China?), wohl zu langsam ist, für die konstante bis steigende Nachfrage. Darüber hinaus ist es natürlich günstiger einen Second-hand-motor den Griechen abzukaufen und wieder zu verwenden als Neuware.

5. Endlich und Europa – Was nun?
Wenn die Flüchtlinge sicher das Europäische Festland erreicht haben, ist die Stimmung fast immer heiter und freudig. Umarmungen, Gesänge, eine Menge Selfies – alles ist dabei und neben der Freude ist es vor allem Erleichterung, die man den meisten Gesichtern ablesen kann. Weniger fröhlig ist es in bitterkalten Nächten, wenn die Flüchtlinge klatschnass an Land kommen oder sogar aus dem Wasser gerettet werden mussten. Auch hier lernt man aus Erfahrung: es gan Fälle, bei denen Flüchtlinge bewusstlos und stark unterkühlt waren. Nichtsahnend haben die Freiwilligen natürlich die nassen, dreckigen Kleider gegen trockene getauscht – nicht ohne Wertsachen und andere Gegenstände aus den Taschen aufzubewahren. Was sie allerdings nicht bedacht hatten war, dass die meisten Flüchtlinge (große Mengen) Geld und Ausweise oft zusätzlich in die Kleidung eingenäht haben. Der Schock war groß, als die Flüchtlinge realisieren mussten, dass die Kleidung nicht mehr bei Ihnen war. Am Ende wurden alle Kleider wiedergefunden und den Flüchtlingen zugeordnet – aber was für ein Stress! Man darf nicht vergessen, dass selbst das wenige Gepäck, was die Flüchtlinge bei sich tragen, nicht vor Diebstahl oder auch der Polizei sicher ist.

Wenn ich die heitere Stimmung in Oxy sehe, bin ich natürlich froh, denn die erste Hürde ist geschafft! Aber oft fällt es mir schwer in dieselbe Euphorie zu verfallen, weil ich weiß wie hart und zermürbend der Weg für die meisten Flüchtlinge noch sein wird.

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Teilweise ist es unglaublich wie wenig die Menschen (trotz Smartphones und Internet?) eigentlich über Europa wissen. Es machte mir immer wieder bewusst, dass die Entscheidung für die Flucht nach Europa spontan und aus großer Not heraus getroffen wird. Viele der Flüchtlinge dachten, sie könnten von Lesbos nun zu Fuß bis nach Athen gehen oder direkt den Bus nach Deutschland nehmen.
Die Idee Informationen über Plakate, Broschüren oder Flyer zu verteilen, funktioniert nur bedingt und representiert eine sehr Westliche Denkweise: in den meisten Herkunftsländern der Flüchtlinge läuft die Wissensvermittlung über eine Face-to-Face Kommunikation (wie uns eine Iranische Freiwillige erklärte). Sich die Informationen über die Internetseiten wie www.w2EU.info oder die Ausdrucke selber zu erschließen, ist eine Annahme, die nicht dem Denk- und Handlungsalltag vieler Flüchtlinge entspricht. Solche Infos sind für die NGOs und Volunteers natürlich Gold wert.

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Ein weiterer Fun-Fact ist, dass ausgerechnet die Zeugen Jehovas es nötig haben in den schlimmsten Camps Missionarsarbeit zu leisten. Sie laufen nicht nur über das Campgelände und probieren (illegalerweise) Muslime vom Glauben abzubringen, die verteilen auch Comics auf Farsi und Arabisch. Einmal befanden sich diese Comics sogar in Schlafsäcken, die verteilt wurden. Judith ist regelmäßig an die Decke gegangen wenn sie wieder einen Missionar in Moria erwischt hat.

Neben der kulturellen und nationalen Vielfalt, stellt man schnell fest, dass nicht nur junge, gesunde Männer oder Familien den Weg nach Europa wagen, sondern sogar die hilfsbedürftigsten Menschen losziehen. Für mich war das am bedrückendsten, auch im Hinblick auf die kommende Integration in einer komplett neuen Gesellschaft. Ich könnte mir niemals meine eigene Oma mit 80 Jahren auf einem Schlauchboot auf dem Weg nach Afghanistan vorstellen. Geschweige denn, dass sie auf einem harten UNCHR Zeltboden schläft. Im Winter. Das gleiche gilt für Mütter mit 1, 2 Monate alten Babies. Oder Männer im Rollstuhl. Die ganzen Prozeduren auf der Reise: mal eben ein paar Kilometer zu Fuß laufen, das Gepäck, die Schlafstätten, Anstehen für jede Kleinigkeit, das zermürbende Warten, keine Privatsphäre – all dass sind Strapazen, die man sich selbst nach 6 Wochen Volunteering nicht vorstellen kann und nichts desto trotzz hoffe ich, dass es in Deutschland und all den anderen Zielländern Verständnis für die Menschen gibt.