Mittwoch kam ich klatschnass in Riga an und verweilte zwei Tage in einem Hostel direkt im Stadtzentrum.. Endlich konnte ich mal alle Klamotten trocknen, mich der Körperpflege widmen und ausgiebig die Stadt erkunden. Riga ist super schön und nicht mit Tallinn zu vergleichen. Hier dominieren mehr prunkvolle Häuser im Jugendstil als mittelalterliche Bauten das Stadtbild.

Helmut, ein deutscher Rentner aus dem Hostel, der seit über 40 Jahren mehrere Monate im Jahr in Riga verbringt, resümiert über die Schönheit der Stadt: “Auf dem morgendlichen Weg zum Café sehe ich mehr schöne Frauen als in einem ganzen Jahr in Deutschland.”

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Marktplatz

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Hab ich mich verfahren? Ne, die Bremer Stadtmusikanten gibt's auch in Riga

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Typische Gasse durch die Altstadt

Was für ein verrücktes Wochenende in Estland! Samstag schien endlich wieder die Sonne, zwar war es noch recht kühl, aber mir war nach einem Bad in der Ostsee. Also radelte ich zu einem Strand mit legaler und kostenloser Campingmöglichkeit, den Antero mir empfohlen hatte und ich war überrascht: So einen schönen Sandstrand hätte ich mir Estland nie in Verbindung gebracht.

Nach dem erfrischenden Bad in der Ostsee traf ich 3 Esten, die mit dem gleichen Ziel angereist waren. Sie erzählen mir, dass wenige hundert Meter weiter am Strand ein Flunder-Festival ist. Die Flunder werden direkt aus dem Meer gefischt, geräuchert und an die hungrigen Besucher verkauft. Als Bonus gab es gab noch einen Wettbewerb, wer die meisten und größten Flunder angelt. Sie bestanden darauf, dass ich einen dieser platten Fische probieren muss und spendierten mir eine Portion.

Während ich probierte den Fisch zu essen (garnicht so einfach) unterhielt sich Teet, einer der drei Esten, fleißig mit den anderen Besucher. Gerade hatte ich aufgegessen, winkte er mich zu der mobilen Sauna herüber. Er hat mit dem Besitzer abgemacht, dass wenn ich mit Fahrradhelm in die Sauna gehe, diese für mich kostenlos ist. Yeah! Also Klamotten runter und Helm angezogen und schon saßen Teet und ich in der Sauna und schwitzten bei einem kühlen Bier, das mir eine nette Estin in die Hand gedrückt hat. Das beste daran war die Abkühlung: Wir mussten nur 100 m durch den Sand laufen um dann nackig in die Ostsee zu springen. Ein Traum!
Auf dem Rückweg vom ersten Saunagang kamen wir einer anderen Gruppe ins Gespräch, die so angetan von der Radtour waren, dass sie unbedingt mit Wodka anstoßen wollten.

Nach dem zweiten Saunagang fing es langsam an zu regnen und die gesamte Meute versammelte unterm Pavillon, wo auch noch eine Band spielte. Kaum hatte ich mein Bier ausgetrunken, bekam ich von netten Bekanntschaften ein Neues in die Hand gedrückt – und das den ganzen Abend. Der Versuch mit einem deutschen Ehepaar, die auch mit dem Rad unterwegs waren, zu quatschen wurde mehrfach dadurch unterbrochen, dass ich wieder auf die “Tanzfläche” gezerrt wurde um mit einer fröhlichen Dame im Sand zu tanzen – ich war verwundert, dass sie bei den Mengen an Alkohol überhaupt noch Tanzen konnte. Je später der Abend, desto schwieriger ist es für mich die ganzen Geschehnisse zu sortieren.. Ist aber auch egal, es war grandios! Natürlich habe ich während dessen an alles andere gedacht als Fotos zu machen. Daher gibt’s nur Fotos vom Strand am nächsten Morgen..

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Von Helsinki gings direkt mit der Fähre nach Tallinn. Eigentlich keine große Sache, aber wegen des starken Windes wurden alle Schnellfähren gecancelt und die großen Fähren waren fast alle ausgebucht. Mit viel Glück bekam ich noch ein sehr günstiges Ticket (17 €) für eine langsame Fähre für 2000 Personen. Von Ausbau gleicht die Fähre mehr einem Kreuzfahrtschiff: So saß ich 3 Stunden lang in einer trendy Bar mit Livemusik und schaute den Menschen beim essen, trinken, tanzen und duty-free-shoppen zu. Wie jedesmal bei längeren Fährfahrten fühlte ich mich vollkommen fehlplaziert und konnte den offensichtlichen Genuss der anderen Passagiere nicht nachempfinden. In meinem momentanen Rhythmus und Zustand ist mir solch ein Reisetempo einfach zu schnell, aber vielmehr vermisse ich den unmittelbaren Kontakt zur Umwelt.

Als endlich die Skyline von Tallinn am Horizont erschien, konnte ich es kaum erwarten das Schiff zu verlassen und in das neue Kapitel der Radreise – die baltischen Staaten – zu starten. Um die Stadt ausgiebig erkunden zu können, habe ich mich zwei Tage lang in einem günstigen Hostel in der Altstadt einquartiert. Tallinn, besonders der historische Kern, ist ein Traum! Hier kann man stundenlang durch kleine Gassen mit Kopfsteinpflaster schlendern, wunderschöne Altbauten, Höfe und Kirchen bewundern und für wenig Geld in Cafés, Bars und Restaurants das Leben genießen. Lustig ist, das man hier persönlich in Restaurants und andere Geschäfte eingeladen wird und das scheint keine Touristenfalle sondern eine höfliche Geste zu sein. Allerdings bin ich etwas irritiert, weil mich eine Frau in einer großen Traube von Menschen zielstrebig ansteuerte und mir einen Flyer für erotische Massagen in die Hand drückte. Sehe ich etwa so unrelaxt oder sexuell frustriert aus?

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Die Altstadt Tallinns bei Nacht

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Eine Kreuzfahrt, die ist lustig.. Oder auch nicht

Nach 3 Wochen in Finnland bin ich Dienstag in Helsinki angekommen. Damit endet nicht nur die Zeit in Finnland sondern auch noch eine lange, intensive und wunderschöne Zeit in Skandinavien. Eins ist sicher: Ich werde wiederkommen!

Über Warmshowers (Couchsurfing für Radreisende) habe ich Antero und Kirsi kontaktiert, die mich herzlich für eine Nacht in ihrer Wohnung nahe des Zentrums beherbergt haben. Als ich Abends ankam konnte ich erstmal ausgiebig duschen und die Klamotten in die Waschmaschine werfen (die letzte Wäsche ist 7 Wochen her). Anschließend war bereits das Abendessen zubereitet. Köstlich! Antero ist selber schon viel durchs die baltischen Staaten sowie durch Polen geradelt und konnte mir viele Tipps für die kommenden Wochen geben. Ein spitzen Finale in Skandinavien!

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Temporäres Kunstwerk im Stadtzentrum, das mir sehr gut gefallen hat :)

Regen, Regen und zwischendurch kommt immer mal wieder die Sonne raus. Nach soviel Glück mit dem Wetter in Skandinavien ist das aber schon in Ordnung :) Gemein war nur der permanente und heftige Wind, der natürlich immer von vorne wehte und die langen Tagesetappen sehr erschwerte.

Ab Kuopio schlängelte mich durch kleinere Orte und den Nationalpark Leivonmäki zum zweitgrößten See Finnlands Päijänne, der südlich von Jyväskylä liegt. Entlang des Ostufers verläuft eine idyllische Straße die bis kurz vor Lahti führt; Von da aus sind es nur noch 100 km bis Helsinki. Jihaaa!

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Mal wieder Wälder und Seen, aber sehr schön! Zwischen den Bäumen wachsen überall Blaubeeren

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Uferstrasse entlang des Sees Päijänne

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Die Energiebilanz muss stimmen: 1 Liter Reis mit Pesto + 0,4 Liter Reis mit Kakaopulver als Nachtisch

Umgeben von unzähligen Seen liegt Kuopio, die mit 100000 Einwohnern wohl letzte größere Stadt vor Helsinki (noch ca. 400 km)..

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Blick über die Stadt vom Puijo Tower

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Nachtlager in Kuopio. Da ich keine Lichtung finden konnte, musste ich selbst Hand anlegen und ein paar Bäume entwurzeln ;)

Bisher habe ich in Finnland probiert möglichst die 3-stelligen Landstraßen zu nutzen, weil diese in der Regel asphaltiert und kaum frequentiert sind. Doch jedesmal wenn ein Stück Schotterpiste dabei war, hatte ich direkt mehr Spaß.. Einerseits passen die Straßen viel besser in die natürliche Umgebung und andererseits bin ich stets damit  beschäftigt Steinen und Schlaglöchern auszuweichen.

Also suchte ich mir nach Kuopio nur kleine Schotterwege raus. Bei trockenem Wetter rollt es sich auf diesen Wegen beinahe wie auf Asphalt, leider regnete es stark und so kämpfte ich mich 100 km durch nassen steinigen Sand. Nachdem ich von Schweiß und Regen durchnässt war, tauchte aus dem Nichts eine Hütte am See mit Steg, Feuerstelle, Feuerholz und Plumplsklo auf. Ein Traum, vorallem nach den Strapazen!

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Viele schöne Geschichten beginnen mit einem Kaffee oder beinhalten zumindestens welchen – so auch dieses Wochenende: Nachdem mir in Rovaniemi viele Finnen geraten haben nahe der russischen Grenze nach Süden zu radeln, passierte ich Samstag das Dorf Metsäkylän nahe Taivalkoski. Dort gab es einen kleinen Lebensmittelladen mit Café bzw. Bar. Bei so seltenen Chancen kann ich selten widerstehen, also stoppte ich für einen Kaffee.

Noch bevor der Kaffee eingeschenkt war, kam ich mit Veli ins Gespräch. Er war mit seiner Freundin unterwegs und entspannte in einem Cottage in der Nähe. Seine Freundin kümmerte sich um den Einkauf der Lebensmittel, er setzte sich zu mir in die Bar und trank sein morgendliches Bier. Da er lange Zeit in seines Lebens in der Gegend verbracht hat, konnte er mir viele Tipps und Routenempfehlungen geben. Zudem gab Veli mir einen Apfelcider aus und schrieb mir noch die Adresse von seiner Hütte auf, wo ich wohnen, saunieren und entspannen kann so lange ich möchte. Hammer!

Nach Velis zahlreichen Tipps verwarf ich wie so oft meine Pläne, saß im Café über den Karten und überlegte neu, wie ich die schönen empfohlenen finnischen Orte auf einer sinnvollen Route verknüpfen kann.. und mal wieder soll es noch weiter Richtung russische Grenze gehen.
Nachdem ich ein paar Worte mit Sulo, dem Inhaber der Bar, gewechselt hatte, fragte er mich, ob ich in die Sauna gehen möchte. Ja klar! Er rief seinen Neffen Sauli an und ließ ihn die Sauna anfeuern. Eine halbe Stunde später warfen wir mein Rad in den Bulli und fuhren zum Anwesen seiner Familie. Dort wohnt er mir seiner Frau Sirkku sowie seine Schwägerin Aini mit ihren 3 Kindern Henri, Sauli und Pauliina. Wunderschöne alte Holzhäuser (und ein eigenes Museum) mit Blick auf den See! Sauli fragte mich, ob ich lieber alleine oder mit Handtuch saunieren möchte. Auf keinen Fall, so original und finnisch wie möglich! Also saßen Sauli, Sulo und ich mit einem Sixpack Bier in der Sauna und sie zeigten mir, was eine wahre finnische Sauna ist. Ein Traum! Wieviel Zeit wir dort verbrachten kann ich nicht sagen, aber es waren mindestens 5 oder 6 Saunagänge und soviele, dass jeder Muskel meines Körpers tiefenentspannt war.

Anschließend war bereits das Abendessen zubereitet und die gesamte Familie versammelte sich in einem urigen Wohnzimmer voller bunter Teppiche. Was mir besonders gut gefallen hat: Sobald alle aufgegessen haben wird Kaffee und süßes Gebäck (unglaublich lecker) serviert und zwar zu jeder Tageszeit. So trank ich an dem Abend kurz vor Mitternacht den letzten Kaffee bevor ich mich im Gästezimmer schlafen legte.

Der nächste Morgen startete fantastisch. Wie jeden Sonntag gab es finnisches Reis-Porridge, das nicht süß sondern salzig ist und meist nur mit Butter oder Beerensuppe gegessen wird. Trotz anfänglicher Skepsis war ich begeistert und es schmeckt tatsächlich ganz anders als Milchreis. Eigentlich wollte ich nach dem Frühstück weiter radeln aber ich genoss die Zeit mit der Familie (und natürlich den Kaffee) so sehr, dass ich erst im späten Nachmittag Richtung Südosten aufbrach. Für mich war es eine wunderschöne Erfahrung so herzlich in die Familie aufgenommen zu werden und viel über das Leben und die Geschichte der Finnen zu lernen. Irgendwann werde ich sie nochmal besuchen, hoffentlich im Winter auf dem Schneemobil bei klarem Himmel und Nordlichtern :)

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Sulo, Sauli, Ich, Pauliina und Aini. Ich glühe noch von der Sauna :)