Bukarest ist definitiv keine Schönheit oder eine Stadt, in die man sich auf den ersten Blick verliebt. Nahezu überall dominiert der Mix aus kommunistischen Betonklötzen, älteren (teils verfallenden) Bauten und modernen, pompösen Gebäuden. Im Stadtzentrum wird man förmlich von der Anzahl der Bars, Cafés, Clubs und Restaurants erschlagen – Vielseitigkeit statt Gemütlichkeit.

Trotzdem genieße ich die Zeit hier sehr. Das liegt allerdings mehr an dem Hostel bzw. an den Menschen dort als an der Stadt. Wenn ich den Flug von Istanbul nicht schon gebucht hätte, würde ich hier noch länger verweilen. Die Mitarbeiter lachen mich schon aus, weil ich so oft gesagt habe, dass ich morgen weiter radel. Aktueller Plan ist übermorgen (Freitag) aufzubrechen.. mal schauen :)

Wegen des Wintereinbruchs werde ich nicht durchs Donaudelta sondern direkt nach Varna an die bulgarische Schwarzmeerküste radeln. Zumal das Highlight im Delta die Tiere (Pelikane!) gewesen wären und die Vögel vermutlich schon Richtung Süden gezogen sind.

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Alt, neu und hässlich. Das übliche Stadtbild

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Der Platz der Revolution, wo 1989 Geschichte geschrieben wurde

Nach 3 Tagen in Bukarest war der schlimmste Regen überstanden, dafür ist es unfassbar kalt geworden. Am Samstag war es tagsüber nicht wärmer als 5 Grad, trotzdem beschloss ich weiter zu radeln. Zwar prognostizierte der Wetterdienst, dass es abends leichten Schneefall geben soll, aber das konnte ich mir unmöglich vorstellen – Schnee im Oktober?

Kurz nachdem ich mich aufs Rad gesetzt hatte fielen jedoch die ersten Schneeflocken und peitschten mir mit starkem Gegenwind ins Gesicht. Nach 30 anstrengenden Kilometern mit immer mehr Schnee beschloss ich mein Nachtlager in einem Waldstück östlich von Bukarest zu errichten. Obwohl ich alle Klamotten anzog, war es meine kälteste Nacht bisher – für solche Wetterbedingungen reicht meine Ausrüstung wohl nicht aus. Am nächsten Morgen beschloss ich daher wieder zurück nach Bukarest zu radeln und im Hostel (das übrigens unfassbar cool ist) auf wärmeres Wetter zu warten.

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Obwohl die Donau nur 60 km an Bukarest vorbei fließt, wollte ich Rumäniens Hauptstadt nicht besuchen. Zum einen weil viele Rumänen und Reisende mir erzählten, dass die Stadt nicht sehenswert sei, zum anderen weil ich in den letzten Wochen soviele Städte sah und die ländlichen Gegenden momentan mehr genieße.

Die Wetterprognose änderte allerdings meine Pläne. Da es massenhaft Regen geben sollte,  beschloss ich doch nach Bukarest zu radeln und den Regen in einem Hostel mit netten Menschen auszusitzen. Es wird die nächsten Tage eh spannend, da die Temperaturen massiv fallen werden: Am Wochenende soll es tagsüber nicht wärmer als 6 Grad und nachts erstmalig kälter als Null Grad werden. Mal schauen, wie warm meine Klamotten und der Schlafsack wirklich sind :)

Den Weg bis Bukarest war allerdings hart. Da ein großer Abschnitt der Hauptstraße für Radfahrer gesperrt ist, musste ich auf sekundäre und tertiäre Straßen ausweichen. Diese sind in Rumänien leider selten asphaltiert, so dass ich mich über holprige Pisten mit viel Schlamm und Sand kämpfte. Die Steine waren wohl so spitz, dass ich sowohl vorne als auch hinten einen Platten hatte – der Letzte war auf den Lofoten vor etwa 5000 km!

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Ich war nicht der einzige schwer beladene Radfahrer

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Reifen flicken im staubigen Nirgendwo

In Oryahovo wechselte ich erneut die Donauseite von Bulgarien nach Rumänien. Das Beste sind definitiv die Menschen: Fahre ich durch die zahlreichen, kleinen Dörfer, kommen die Kinder an den Straßenrand gelaufen, grüßen lauthals, strecken ihre Hände für High Fives aus und wollen Fotos mit mir machen. Auch sonst habe ich überall nur schöne Begegnungen. Mal werde ich eingeladen, bekomme Überraschungsbesuch eines Hirten mit seiner Ziegenherde oder helfe einem Farmer sein Zugpferd wieder einzufangen..

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Zwar sehe ich die Donau nur selten, dafür aber schöne Seen wie diese

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Kinder beschlagnahmen mein Rad :)

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Mein abgelegenes Nachtlager am See..

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aber der Hirte fand mich trotzdem - zum beidseitigen Vergnügen

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Pompöser Sonnenuntergang kurz vor Bukarest

Nach dem Eisernen Tor folgte ich der Donau rechtsseitig durch Serbien und passierte zwei Tage später die Grenze zu Bulgarien. Es bleibt grandios! Obwohl die Region die ärmste Bulgariens ist und viele Menschen in zerfallenen, improvisierten Häusern leben, strotzen sie nur so vor Lebensfreude.

Als schwierig erweist sich die Kommunikation: Im Gegensatz zu Serbien, wo neben dem kyrillischen Alphabet immer noch das Lateinische verwendet wird, existiert in Bulgarien nur das Kyrillische. Auch mit viel Wohlwollen werde ich aus den Wörtern selten schlau. Da ich aber meist mit Händen und Füßen kommuniziere, ist das nicht so schwerwiegend. Viel irritierender ist, dass die Bulgaren mit dem Kopf schütteln für “Ja” und Nicken für “Nein”.. Verrücktes Volk :)

Am zweiten Tag in Bulgarien erreichte ich die Stadt Vidin, die ärmste Stadt der gesamten EU. Entgegen meiner Erwartung war dies eine erschreckende Erfahrung. Auf der Suche nach einem Supermarkt ging ich über einen Markt, wo die Menschen in Wellblechhütten und auf dem Boden alles anboten, was sich verkaufen lässt: Obst, Gemüse, Autoteile, Hühner, Kaninchen, Elektrokram usw.. Ich fühlte mich unwohl als offensichtlicher Tourist und hatte erstmalig das Gefühl nicht als Mensch sondern als “Geld auf Rädern” wahrgenommen zu werden. Es dauerte nicht lange, da kamen Roma-Kinder angelaufen und bettelten mit offenen Händen. Der Supermarkt war direkt nebenan und ein Junge, ca. 10 Jahre alt, folgte mir bis dort. Ich wollte ihm kein Geld geben, da häufig die Eltern ihre Kinder betteln schicken und später das Geld einsacken. Um ihm eine Freude zu machen, brachte ich ihm Schokoriegel aus dem Supermarkt mit. Er nahm sie glücklich entgegen. Als ich wieder zum Fahrrad ging, sah ich, dass das Schloss zwischen Speichen und Rahmen verklemmt war. Wie mir ein älterer Bulgare signalisierte, muss der Junge mit seinem Freund probiert haben mein Fahrrad zu klauen. Und ich belohnte ihn auch noch dafür!

Auch die restliche Stadt hatte einen seltsamen Flair – ganz anders als in den umgebenden Dörfern, wo die Menschen sicherlich ähnlich arm sind. Die Gemeinschaft scheint hier zerklüftet zu sein, vielleicht wegen der Größe und höheren Anonymität. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es in der Stadt eher möglich ist einen dem Wohlstand angepassten Lebensstil zu führen und sich so abzugrenzen. Auf dem Dorf wohnt der Eine vielleicht in einem schickeren Haus mit einem glänzendem Auto vor der Türe, dennoch kaufen alle im gleichen Supermarkt ein, essen das gleiche Brot, und sitzen abends in der gleichen (und einzigen) Bar.

Leider habe ich keine Fotos aus Vidin. Da ich mich eh schon unbehaglich fühlte, wollte ich nicht noch meine Kamera zücken..

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Anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich beim Eisernen Tor um ein Naturspektakel – dem über 100 km langen Taldurchbruch der Donau mit den Karpaten (Rumänien) zur Linken und dem Balkan-Gebirge (Serbien) zur Rechten. Hinter Orşova, am Ende des Tals, wird die Donau durch zwei Dämme mit Wasserkraftwerken aufgestaut.

Für mich war die Strecke einer der schönsten der letzten Wochen: Hammer Kulisse, kaum Verkehr, weit verteilte, charmante Dörfer und das alles bei über 25 Grad. Teilweise erinnerte mich die tiefe Schlucht an die Fjorde Norwegens.

Da die rumänische Seite hinter dem Damm nicht so reizvoll sein soll, radelte ich auf dem ersten Damm zur serbischen Seite und werde erst in Bulgarien wieder nach Rumänien wechseln.

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Serbien hat mir unfassbar gut gefallen und ohne den Grenzübergang wäre mir nicht aufgefallen, dass ich nun in Rumänien bin. Die Rumänen sind ebenso offen, herzlich und freundlich. Fahre ich durch kleine Dörfer, so winke, grüße und quatsche ich an jeder Ecke
Da ich mich sichtbar den Karpaten und dem Balkan-Gebirge nähere, wird es landschaftlich immer spannender.

Nagut, Eins ist doch auffallend anders: Es gibt unzählige wilde Hunde, die sich meist in Stadtnähe aufhalten und lethargisch am Straßenrand liegen. Vor allem der Anblick von verwahrlosten Hündinnen mit Welpen ist sehr schmerzlich. Die Wenigsten der wilden Hunden interessieren sich für vorbei brausende Radfahrer, viel mehr sind es die Wachhunde, die ihr Territorium verteidigen wollen und mich aggressiv verfolgen. Höre ich ein Bellen, so muss ich schnell entscheiden ob ich Vollgas gebe oder lieber anhalte und regungslos stehen bleibe. Nach den anfänglichen Adrenalinkicks gewöhne ich mich aber immer mehr daran und kann die Hunde zunehmend besser einschätzen.

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Panorama mit den Ausläufern des Balkan-Gebirges am Horizont

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Fischer auf der Donau

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Ein typisches Dorf in Rumänien

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Ab und zu legen auch mal Kuhherden den Verkehr lahm

Nach 3 Tagen in Serbien habe ich die Hauptstadt erreicht. Das Stadtbild wird vor allem durch die zwei Flüsse Donau und Sava sehr positiv geprägt. Auch wenn ich es wieder sehr genossen habe in einer größeren Stadt zu sein, so zieht es mich wieder in die Natur und die kleinen Dörfer, wo ich mich stärker mit dem Land und Leuten verbunden fühle.

Auf dem Weg ins Stadtzentrum musste ich mir erstmalig die Straße mit hunderten Panzern teilen, die dort parkten und rangierten. Wie ich später erfuhr, sind diese Teil einer Militärparade, die am 16. Oktober statt findet. Trotz der einschüchternden Erscheinung bin ich sicher, dass bei einer Kollision mit meinem voll bepackten Rad die Panzer den Kürzeren gezogen hätten :)

Im Hostel, in dem ich für zwei Nächte blieb, traf ich zwei deutsche Radreisende, die ebenfalls auf dem Weg nach Istanbul sind. Und wo kommen sie her? Köln! Und beide studieren Maschinenbau in Aachen. Die Welt ist so verdammt klein..

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Die Donau ist ein Monster – unglaublich wie breit der Fluss ist und welche Wassermassen sich über das Land pressen. Mal radel ich auf dem Deich mitten durch die Natur und finde abgelegene Sandstrände, mal geht es durch lebhafte Städte wie Novi Sad. Ist das Wetter gut, scheinen alle Serben sich in den zahlreichen Cafés zu treffen um guten (und verdammt günstigen) Kaffee zu trinken. Bei soviel Angebot kann ich selten widerstehen und trinke teils mehr Kaffee als ich auf dem Rad verbringe.

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Sandstrand an der Donau

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Radelspaß!

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Mein liebster Gegenverkehr. Man beachte den Kontrast: Pferdekutsche + Smartphone und Ohrstöpsel

Eigentlich wollte ich am Abend noch bis Backa Palanka und irgendwo hinter der Stadt einen Schlafplatz suchen. Auf dem Weg passierte ich das kleine Dorf Tovarishero, das etwas skurril (Flugzeugwrack auf dem Kinderspielplatz und eine schiefe Kirchturmspitze) aber sympathisch wirkte.

Als ich an einer Bar vorbei radelte winkte mich ein Einheimischer herüber und lud mich auf ein Bier ein. Es gestellten sich immer mehr Menschen hinzu und es wurde ein feucht fröhlicher Abend. Obwohl ich eigentlich probierte politische Themen zu vermeiden, sprachen wir viel über die Zeit im sozialistischen Jugoslawien (für Viele eine sehr gute Zeit) und die aktuellen Probleme. Verdammt spannend! Auch für die jungen Menschen ist es hier schwer eine (gute) Arbeit zu finden. Irritiert war ich, dass ich häufig korrigieren wurde, wenn ich über die Region sprach: Dies sei nicht Serbien sondern Vojvodina. Auf die Frage nach der Unabhängigkeit antwortete man mir grinsend “not yet”.

Spätestens nach dem dritten Bier verwarf ich den Plan weiter zu radeln und nahm das Angebot bei Dragan zu Hause zu übernachten dankend an. Er wohnt mit seiner Mutter und seinen drei Schweinen Stella, Bella & the Blue (seine Nichte wählte die Namen) in einem kleinen Haus am Dorfrand. Neuer Hausbewohner ist zudem ein kleiner Kater den Dragan (glaub ich) an dem Abend auf der Straße fand und liebevoll umsorgte. Seine Mutter freute sich sichtlich über meinen Besuch, kochte Abendessen und richtete das Gästebett her. Nach einer schönen warmen Dusche gings ins Bett. Heute morgen um halb 7 ging das Licht an und Dragans Mama signalisierte mir, dass das Frühstück fertig sei – Tee und Brote mit selbstgemachter Marmelade.

Gut gestärkt und überwältigt von der Gastfreundschaft radel ich nun weiter nach Novi Sad und werde voraussichtlich Samstag in Belgrad ankommen.

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Tovarishero - das Dorf mit der schiefen Turmspitze

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Flugzeugwrack auf dem Kinderspielplatz?

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Dragan und sein Kater