Was ist los auf Lesbos

Es sind jetzt fast 6 Wochen auf Lesbos vergangen. In dieser Zeit hat sich auf der Insel viel getan. In Moria entwickeln sich langsam Strukturen, es gibt ein einige permanente Zeltstrukturen am Olivenhain/Afghan-hill und eine neue Essensküche in der 6 Jungs aus GB probieren 24/7 warme Mahlzeiten zuzubereiten. Es gibt mehr Koordination unter den Volunteergruppen, die zum Teil auch von Molyvos regelmäßig nach Moria runter fahren um mitzuhelfen.

Im Norden hingegen wird es ruhiger. Seit dem EU-Flüchtlingsgipfel, bei dem der Türkei 3 Milliarden EUR Hilfsgelder zugesprochen wurden, haben sich die Flüchtlingsströme in Richtung Süden verlagert. Die meisten Boote kommen in der Nähe von Mytilini an, vermutlich da die Pushbacks der Türkischen Küstenwache im Norden zugenommen haben oder die Bestechung der Polizei in dem Bereich schwieriger oder zu teuer geworden ist. Die Gerüchteküche brodelt auf jeden Fall, was auch mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit der Volunteers im Norden zusammenhängt. Wir wissen nicht genau wie stark die Militar- oder Polizeikontrollen auf Türkischer Seite sind und auch welche Form der Pushbacks stattfinden, aber manche Volunteers auf den Beobachtungsposten an der Küste berichteten sogar vom Einsatz von Wasserwerfern: Wenn die Schlauchboote nicht durch Militärpräsenz zurückzuhalten sind werden eben einfach ein paar Liter Wasser von oben auf die Boote geschossen. So werden die Flüchtlinge dann gezwungen zurück ans Türkische Festland zu fahren. Das ist vermutlich auch ein Grund weshalb sich nun die meisten Gruppen hauptsächlich nachts oder bei schlechtem Wetter auf den Weg machen. Nicht nur die Überfahrt wird somit gefährlicher, auch die Arbeit der Freiwilligen, die die Boote auf Lesbos an Land bringen, wird erheblich erschwert. Zwei meiner Mitbewohnerinnen waren fast nur noch Nachts unterwegs und haben teilweise stundenlang im Wasser gestanden. Durch die Dunkelheit und die verängstigten und uebermüdeten Flüchtlinge passiert es häufiger das Boote kentern und natürlich machen diese Umstände die Koordination für die Volunteers nicht einfacher. Oft kommen die Mädels klatschnass und total erschöpft zu Hause an, wenn meine morgendliche Schicht beginnt.

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Das Bizarre an der Verschiebung der Fluchtroute ist, dass der Norden durch die Arbeit und Investitionen der letzten Wochen jetzt optimal ausgestattet ist, aber quasi leer steht. Die zwei grossen (beheizten!) UNHCR Zelte werden nicht genutzt; die Köche der 15m langen mobilen Küche, die 15000 Mahlzeiten am Tag produzieren könnte, kochen nur für die paar gelangweilten Volunteers, die nach wie vor die Oxy Schicht belegen müssen und sich zwangsläufig mit dem Bau von bislang ungenutzten Bänken/ Stühlen/ (Armdrück-) Tischen beschäftigen. Die Lifeguards an den Stränden, die leider keine Bänke zu bauen haben, kriegen schlechte Laune auf Grund fehlender Energieauslastung und Ego-Befriedigung bei der Flüchtlingsrettung. Es ist wirklich verrückt: die Volunteers im Norden haben nichts zu tun und wünschen sich (leicht beschämt) neue Flüchtline herbei. Und während es im Süden immer noch an Strukturen, insbesondere Zelten und Helfern (und Sitzgelegenheiten) mangelt, baut das International Rescue Committee am Strand neben Oxy und Scala noch ein weiteres (perfekt ausgestattetes) Transit-Camp auf: viele weiße beheizte Zelte und anscheinend sogar mit warmen Duschen. Weitere ungenutzte Schlafplätze – es steht genauso leer wie Oxy.

Natürlich werden diese ruhigen Phasen genutzt um das Camps zu optimieren, aber da es unklar ist, ob jemals wieder Flüchtlinge ankommen, ist das Gefühl der Sinnlosigkeit nicht weit entfernt. Die Ungewissheit macht es für die NGOs besonders schwer verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen – man weiß schließlich nie ob es nur ein Kurzzeit-Status ist und am nächsten Tag plötzlich wieder 30 Boote ankommen. Mittlerweile sind die meisten Volunteers “on call” und viele organisieren Car-Sharing-Groups um den Süden zu unterstützen (und sich wieder nützlich zu fühlen). Auch ich hab mich nach 3 Tagen Däumchen-drehen am Strand dazu entschlossen dauerhaft im Lemon-Tea-Zelt mitzuarbeiten.

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