Es sind jetzt fast 6 Wochen auf Lesbos vergangen. In dieser Zeit hat sich auf der Insel viel getan. In Moria entwickeln sich langsam Strukturen, es gibt ein einige permanente Zeltstrukturen am Olivenhain/Afghan-hill und eine neue Essensküche in der 6 Jungs aus GB probieren 24/7 warme Mahlzeiten zuzubereiten. Es gibt mehr Koordination unter den Volunteergruppen, die zum Teil auch von Molyvos regelmäßig nach Moria runter fahren um mitzuhelfen.

Im Norden hingegen wird es ruhiger. Seit dem EU-Flüchtlingsgipfel, bei dem der Türkei 3 Milliarden EUR Hilfsgelder zugesprochen wurden, haben sich die Flüchtlingsströme in Richtung Süden verlagert. Die meisten Boote kommen in der Nähe von Mytilini an, vermutlich da die Pushbacks der Türkischen Küstenwache im Norden zugenommen haben oder die Bestechung der Polizei in dem Bereich schwieriger oder zu teuer geworden ist. Die Gerüchteküche brodelt auf jeden Fall, was auch mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit der Volunteers im Norden zusammenhängt. Wir wissen nicht genau wie stark die Militar- oder Polizeikontrollen auf Türkischer Seite sind und auch welche Form der Pushbacks stattfinden, aber manche Volunteers auf den Beobachtungsposten an der Küste berichteten sogar vom Einsatz von Wasserwerfern: Wenn die Schlauchboote nicht durch Militärpräsenz zurückzuhalten sind werden eben einfach ein paar Liter Wasser von oben auf die Boote geschossen. So werden die Flüchtlinge dann gezwungen zurück ans Türkische Festland zu fahren. Das ist vermutlich auch ein Grund weshalb sich nun die meisten Gruppen hauptsächlich nachts oder bei schlechtem Wetter auf den Weg machen. Nicht nur die Überfahrt wird somit gefährlicher, auch die Arbeit der Freiwilligen, die die Boote auf Lesbos an Land bringen, wird erheblich erschwert. Zwei meiner Mitbewohnerinnen waren fast nur noch Nachts unterwegs und haben teilweise stundenlang im Wasser gestanden. Durch die Dunkelheit und die verängstigten und uebermüdeten Flüchtlinge passiert es häufiger das Boote kentern und natürlich machen diese Umstände die Koordination für die Volunteers nicht einfacher. Oft kommen die Mädels klatschnass und total erschöpft zu Hause an, wenn meine morgendliche Schicht beginnt.

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Das Bizarre an der Verschiebung der Fluchtroute ist, dass der Norden durch die Arbeit und Investitionen der letzten Wochen jetzt optimal ausgestattet ist, aber quasi leer steht. Die zwei grossen (beheizten!) UNHCR Zelte werden nicht genutzt; die Köche der 15m langen mobilen Küche, die 15000 Mahlzeiten am Tag produzieren könnte, kochen nur für die paar gelangweilten Volunteers, die nach wie vor die Oxy Schicht belegen müssen und sich zwangsläufig mit dem Bau von bislang ungenutzten Bänken/ Stühlen/ (Armdrück-) Tischen beschäftigen. Die Lifeguards an den Stränden, die leider keine Bänke zu bauen haben, kriegen schlechte Laune auf Grund fehlender Energieauslastung und Ego-Befriedigung bei der Flüchtlingsrettung. Es ist wirklich verrückt: die Volunteers im Norden haben nichts zu tun und wünschen sich (leicht beschämt) neue Flüchtline herbei. Und während es im Süden immer noch an Strukturen, insbesondere Zelten und Helfern (und Sitzgelegenheiten) mangelt, baut das International Rescue Committee am Strand neben Oxy und Scala noch ein weiteres (perfekt ausgestattetes) Transit-Camp auf: viele weiße beheizte Zelte und anscheinend sogar mit warmen Duschen. Weitere ungenutzte Schlafplätze – es steht genauso leer wie Oxy.

Natürlich werden diese ruhigen Phasen genutzt um das Camps zu optimieren, aber da es unklar ist, ob jemals wieder Flüchtlinge ankommen, ist das Gefühl der Sinnlosigkeit nicht weit entfernt. Die Ungewissheit macht es für die NGOs besonders schwer verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen – man weiß schließlich nie ob es nur ein Kurzzeit-Status ist und am nächsten Tag plötzlich wieder 30 Boote ankommen. Mittlerweile sind die meisten Volunteers “on call” und viele organisieren Car-Sharing-Groups um den Süden zu unterstützen (und sich wieder nützlich zu fühlen). Auch ich hab mich nach 3 Tagen Däumchen-drehen am Strand dazu entschlossen dauerhaft im Lemon-Tea-Zelt mitzuarbeiten.

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Es ist jetzt meine 4. Woche auf Lesbos und ich weiss nicht genau wie ich diesen Reichtum an Erlebnissen zusammenfassen soll. Momentan schulde ich vielen von euch eine Antwort oder ein kurzes Lebenszeichen und obwohl es generell an Zeit nicht fehlt, ist es schwierig einen wirklich ruhigen Moment zu finden.

In den ersten Tagen war es schwer einen Überblick zu bekommen. Es gibt zum einen die ganzen NGOs oder private Gruppierungen, die in dem gesamten Umfeld von Molyvos aktiv sind. Zu verstehen wer wo und wann was macht ist eine Challenge denn es gibt eine Fülle von Aufgaben die bewältigt werden müssen. Die Aufgaben beginnen mit dem Moment an dem die Flüchtlinge die Überfahrt antreten. Mittlerweile ist es so gut organisiert, dass man hier eigentlich schon beobachten kann wie die Flüchtlinge auf der Türkischen Seite das Schlepperboot betreten. Wer gedacht hat, dass die Überfahrt nur Nachts geschieht liegt falsch. Die Meisten kommen bei Tag an. Während die Beobachtungsposten jeden Meter der Boote mit einem Fernglas verfolgen, machen sich die Rettungsschwimmer und co. schon am Strand bereit. Mit Schwimmwesten, die man auf der gesamten Insel zu Hauf findet, werden die Flüchtlinge in die richtige Richtung gelenkt. Oder, es wird zumindest versucht. Da aber die Flüchtlinge nicht wissen mit wem sie es zu tun haben, wird manchmal extra ein anderer Weg eingeschlagen, was problematisch werden kann wenn statt zum Sandstrand dadurch auf die Felsen zugesteuert wird. Meistens kentern die Boote nicht und die Rettungsschwimmer können Kinder und Hilfsbedürftige problemlos an Land tragen während die anderen kurz durch Knie-hohes Wasser gegen müssen. Am Strand warten Freiwillige und Ärzte dann mit Decken, Wechselkleidung und medizinischer Grundversorgung.

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Von hier aus geht es zu den transit-camps Oxy oder Skala. Die Flüchtlinge können die 6 km laufen oder aber den Bus nehmen. Ein Team verteilt die Tickets und organisiert ein geordnetes Bus-loading. Im camp gibt es dann Essen, Wasser, eine warme UNHCR Decke, Toiletten und Schlafplätze. Seit neustem sind wir im Oxy-Lager sogar mit einem riesigen Heiz-Schlauch und einer mobilen Küche ausgestattet, die veganes Essen serviert. Die Freiwilligen verteilen, koordinieren, beantworten Fragen und noch viel wichtiger: sie heißen die Menschen willkommen. Herzlichkeit, ein Lächeln im Gesicht, eine Umarmung,… für die oftmals traumatisierten Flüchtlinge ist das wichtiger als alles Andere. Insbesondere da die zwischenmenschlichen Erfahrungen auf dem Fluchtweg, insbesondere auf türkischer Seite, alles andere als akzeptabel sein sollen.

Über Nacht schlafen die Menschen hier auf Isomatten oder auf dem Boden. Mit einer Decke pro Person, was trotz der neuen Heizung sehr kalt werden kann. Aber generell liegen sie trocken und es gab kaum noch die Situation dass alle Zelte gefüllt waren und die Menschen draußen auf der Straße schlafen mussten. Am Tag wird dann natürlich Müll gesammelt, Kleider gewaschen und getrocknet, Sonnensegel gespannt, Wasser verteilt usw… Wenn es Zeit gibt werden die existierenden Systeme verbessert, Schilder gebastelt oder auch mal ein professioneller Armdruecken-Tisch gebaut. Spontan ereignen sich immer wieder Fußballturniere oder Tauzieh-Wettkämpfe. Wenn ich etwas vermissen werde, dann sind es solche Momente. und die Sonnenuntergänge vor dem Camp. Die sind jedes mal atemberaubend schön.

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Hier im Norden hört sich das alles gar nicht so schlecht an. Es ist ziemlich gut organisiert und ich würde behaupten dass die Flüchtlinge auf menschenwürdige Art begrüsst werden. Aber diese Struktur ist erst in den letzten Wochen gewachsen. Ich habe es seitdem ich hier bin nur einmal richtig voll erlebt und nach unserer Berechnung hatten wir an dem Tag ca 700 Leute über Nacht da. Aber es gab im Sommer Tage wo anscheinend 2000 Menschen im Oxy übernachtet haben. Dann ist die Wartezeit natürlich sehr lang, die Essensschlange zieht sich über Kilometer, die Sandwich-Factory kommt mit der Toast-Käse-Toast-Stapel-Produktion kaum hinterher, die Toiletten verstopfen, die Menschen weichen auf die umliegenden Felder und Hänge aus und eigentlich mangelt es an Allem, insbesondere die Zeit die Menschen nicht nur wie eine Nummer ‘abzuhandeln’ (“Wir brauchen noch 6 Nicht-syrer fuer den Bus nach Mytilinii!!!”).
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enn man nicht genug Zeit hat mit den Menschen zu reden, sie zu beruhigen, Informationen zu verteilen, dann wird es schwierig ungleiche Behandlungen und Ungerechtigkeiten zu vermitteln und es kann es schnell zu Unruhe und Aggression kommen. Das ist zum Glück so gut wie nie passiert.

Von Oxy geht es weiter in Richtung Mytilini in eines der zwei Registrierungslager. Hier fängt es mit der Diskriminierung zwischen Syrern und Nicht-Syrern an. Auf Grund politischer Bestimmung erhalten Syrer bevorzugte Behandlungen. Im Camp Kara Tepe geht die Registrierung schnell, es gibt ausreichend Decken, Kleider, trockene und stabile Zelte und saubere Toiletten. Auch bei uns fahren die Busse für Syrer und Nicht-Syrer immer abwechselnd, obwohl der Anteil der Nicht-Syrischen Flüchtlinge viel größer ist. Wenn es voll ist müssen dann vor Allem die Nicht-Syrer warten. Je nachdem wie viele Flüchtlinge im Camp sind, kann es mehrere Stunden dauern bis die Flüchtlinge im Bus nach Mytilini sitzen. Klar dass der Protest groß ist wenn die soeben angekommenen Syrer schneller im Bus sitzen als die Afghanen, die seit 2 Stunden in der Hitze ausharren.

In Moria, Registrierungscamp Nummer 2, müssen die Leute oft tagelang auf ihre Registrierung warten und auch hier gibt es einen Bereich fuer Syrische Männer, der gut ausgestattet ist. Und dann gibt es den “Afghan-Hill” (wir probieren diese Bezeichnung durch Olive-Yard oder irgendwas zu ersetzen aber er hat sich so weit etabliert, jeder weiß wovon man spricht wenn man Afghan-Hill sagt). Der Hügel ist Privatland, auf dem wegen mangelndem Schlafplatz innerhalb des Camps alle übrig gebliebenen Flüchtlinge übernachten müssen. Der Bauer, dem der Olivenhain gehört, war bis vor kurzem zu keinerlei Kooperation bereit, weil sein Land so verdreckt wird. Es ist eine logische Konsequenz des Toilettenmangels, dass die Menschen eben ihre Bedürfnisse in der Natur erledigen und mir tut jede Frau Leid die hier an diesem Drecksberg ihre Tage hat. Vor ein paar Wochen wurden für die tausende Flüchtlinge zum ersten Mal eine Reihe Dixi-Klos für diese Seite des Camps geliefert (leider verdrecken Toiletten bei Dauerverwendung bekanntermaßen sehr schnell.. Schneller als der Cleaning-Service arbeiten kann, wann kommt der eigentlich?). Wenn man hier eine Sache lernt dann ist es das ein Mensch eben nicht gleich Mensch ist.
Und wenn ich in Moria arbeite (am Afghan-Hill) esse und trinke ich kaum, weil ich nicht weiß wo ich mich entleeren kann.

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Der Mangel an Koordination und waren ist nicht so schlimm wenn es warm und sonnig ist. Nasse Kleider können getrocknet werden und eine Nacht unter Sternenhimmel ist an sich ja gar nicht schlecht. Es gibt genügend kommerzielle Anbieter bei denen man Handy aufladen, Decken, Zelte oder Essen kaufen kann (auch hier wieder Flüchtlings -Business). Problematisch wird es je mehr der Winter einbricht und es zunehmend kalt und nass wird. Vor 2 Tagen kam eine Familie um 11 Uhr Nachts zu mir. Fünf Erwachsene mit jeweils einem Kind auf dem Arm, teilweise Nass von der Bootsüberfahrt. Ein kleines Kind hing, nur wenig bekleidet, auf den Schultern des Vaters. Der Oberkörper hing quasi auf dem Kopf des Vaters und es war so erschöpft, dass es trotz beißender Kälte und freiem Rücken schlief. Ja und dann fragt dich so eine Familie wo sie denn schlafen kann. Unten am Hill waren selbst die kleinen Quechua Zelte mittlerweile gefüllt, nass oder einfach zu dreckig. Ich hätte mit ihnen den ganzen, steilen Berg hoch gehen können um zu schauen ob eines der Ikea Zelte frei ist, aber wenn nicht hätten wir wieder zurück kommen müssen. Hier unten gibt es außer die kleinen Billigzelte keine geschützte Schlafmöglichkeit. Auch nicht ausreichend Decken. Da wird man einfach nur verzweifelt. In dem Fall hatten wir und besonders die Familie Glück, da wir gerade das 2. Teezelt aufgebaut hatten, es aber noch nicht eingerichtet war. So haben wir einen Boden ausgerollt und die Familie hier einquartiert. Was fuer eine Erleichterung! Ich glaube sonst hätte ich die ganze Nacht geheult. In einer Nacht hatten wir hier Sturm und ich war im Norden im Oxy-camp und fühlte mich wirklich krank vor Sorge. Wenn es so stark windet dass fast schon die stabilen Ikea-Zelte wegfliegen, wie sieht es dann in Moria aus?? Ueber Nacht ist oft gar kein Helfer da. Bei uns im Oxy gibt es 3-8 Freiwillige plus 3 Security Männer.

Glücklicherweise lernt man mit der Zeit, dass auch solche Momente zu Ende und eigentlich immer gut ausgehen. Die Nacht ist schlimm aber wenn es am Tag die Sonne scheint sind die Strapazen schnell wieder vergessen. Wenn denn die Sonne scheint! Wenn nicht, dann sieht man Kinder, die weiß sind vor Kälte, deren Haut sich wie Marmor anfühlt. Das Gedränge an den Kleider- oder Essenszelten ist dann kaum aufzuhalten oder auszuhalten. und Das Schlimmste ist wirklich, wenn es nicht genug gibt und man einfach nicht helfen kann. Und das ist hier in Moria und war auch in Oxy vor ein paar Wochen so. Die Ideomeni Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien momentan…

Aber, auch hier in Moria etablieren sich langsam bessere Strukturen. Es gibt mehr Koordination zwischen den verstreuten Helfers-Gruppen, in der Essensausgabe, solide Zelte für Kleiderverteilung und vielleicht auch bald richtige Toiletten. Hoffentlich wird man nicht mehr Menschen, die seit 2 Tagen nichts mehr gegessen haben wegschicken müssen. Das bescheuerte ist, dass es oft in Moria total überfüllt ist, das Super Camp in Kara Tepe aber leer steht, bzw geschlossen ist. In solchen Momenten fragt man sich einfach nur “WIESO?????”.

Auch wenn die meisten Flüchtlinge möglichst schnell von Moria weiter nach Athen reisen wollen, ist es manchmal auch ganz schön, dass die Flüchtlinge hier mehrere Tage bleiben müssen und nicht wie in Oxy am selben Tag oder nächsten Morgen weiterreisen. So entstehen viel engere Beziehungen, ich kriege zB regelmaessig Farsi-stunden hier am Teezelt von Juval. Und die Flüchtlinge helfen Wasser zu holen, den Tee zuzubereiten, zu verteilen und aufzuräumen… Überall eben. Mit Freude, auch weil es die Wartezeit verkürzt! Und glücklicherweise hat der Organisationsmangel hier unten auch die positive Konsequenz dass es keine dummen Regelungen gibt, die die Mitarbeit der Leute verbietet. So packen alle mit an und es wird ein Gemeinschaftsprojekt. Fuer diesen Samstag planen wir eine “Human-Cleaning-Chain” um den Hügel von Dreck zu befreien :)

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to be continued

3 Wochen ist es her dass wir auf der Fähre in die Türkei Josua und Judith, zwei Radreisende aus der Schweiz kennengelernt hatten. Sie wollten dort den Flüchtlingen helfen, die seit Januar in immer grösserer Anzahl auf der Insel ankommen. Von ihnen wusste ich, dass jede Hand willkommen ist, da der Flüchtlingsstrom anhält und immer noch tagtäglich mehrere tausende(!) Leute die Insel passieren. Generell gesehen hätte Aachen mit Sicherheit auch Bedarf an freiwilligen Helfern gehabt, aber irgendwie wollte ich eine Vorstellung davon bekommen wie der Weg der Menschen aussieht, die zu uns nach Europa kommen. Außerdem hatte ich hier die Sicherheit ohne große bürokratische Umstände mithelfen zu können.

Lesbos ist landschaftlich ein Traum. Die 70 km von der Hafenstadt Mytilini in den Norden nach Molyvos waren wunderschön, allerdings auch sehr anstrengend. Das lag zum einen an meinem Schlafmangel (ich hatte in meiner erste Nacht alleine free-campen nicht so seelenruhig geschlafen wie mit Lukas, das kann aber auch an den Hunden gelegen haben die mich zwischendurch wütend aufweckten), den ganzen Bergen und meiner Kaufsucht in der Turkei. Ich war beladen wie noch nie zuvor und nicht mal die Charango passte in meine rote Radwurst! (Ja, das kiloschwere Holz-Okey war es trotzdem Wert & Lukas: ich weiß wie du gerade guckst).

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Meine ersten Schritte auf der Insel tat ich begeistert aber dementsprechend schwitzig! Nach mehreren Stunden auf dem Rad erreichte ich Molyvos am Abend. Da der Ort sehr nah an dem 20 km langen Küstenabschnitt liegt wo die meisten Flüchtlingsboote ankommen, sieht man nicht nur regelmäßig Flüchtlingsgruppen, es haben sich darüber hinaus auch Mengen von Freiwilligen unterschiedlichster NGOs angesiedelt. Mein erster Eindruck war sehr positiv. Selten habe ich einen Ort gesehen wo man von Anfang von so vielen herzlichen und freundlichen Gesichtern begrüsst wird. Vielleicht liegt es am Wetter (es scheint fast immer die Sonne) oder an der Arbeit mit den Flüchtlingen, dass so heitere Stimmung herrscht. Vielleicht auch am Ort Molyvos, der Bilderbuch-schön und richtig schnuckelig ist. Ein Fischerdorf am steilen Hang gelegen, mit vielen kleinen Gassen und einer Burg am oberen Ende, die hier allerdings noch fast niemand besucht hat (weil sie so hoch liegt?) haha.

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Nach ein paar Übernachtungen im Hotel und bei meinen neuen 3 dänischen Supergirls Rie, Fanny und Sophie, bin ich letzten Endes mit Judith und Josua in ein (gesponsertes) Haus gezogen und lebe seither so schön wie nie zuvor, mit Terrasse sowie Blick aufs Meer und Hafen. Von hier kann man wunderbar die griechische Küstenwache und das Frontexboot beobachten (inkl. Portugiesische Besatzung mit schönen Oberarmen – sagt Judith gerade). Momentan sitzen wir übrigens im Food-Zelt (von Ikea), es ist 6 Uhr morgens und wir beenden unsere Nachtschicht im Oxy Transitlager.

Molyvos ist auch der Ort an dem sich vor circa einem Monat die Tragödie mit vielen Ertrunkenen abgespielt hat. Judith hat mir erzählt wie 10, 15 Menschen gleichzeitig bewusstlos im Hafen lagen und teilweise reanimiert wurden. Damals gab es nicht ausreichend verfügbare Ärzte oder Freiwillige und auch Judith und Josua hatten erst nach 1 Monat einen freien Tag. Jetzt gibt es sogar einen Zahnarzt und die Anzahl der Helfer ist rapide angestiegen, sodass jeder normalerweise nur eine Schicht am Tag übernehmen muss. Wenn jetzt ein Boot in der Küste ankommt kann es passieren, dass mehr Helfer als Hilfsbedürftige dabei sind und die Leute darum kämpfen wer nun das klatschnasse Kind in Silberfolie einpacken darf. Die Reporter und Kamerateams freuen sich natürlich und ergänzen das Chaos mit wildem Blitzlichtgewitter.

Ich glaube man kann sich gar nciht vorstellen wie furchtbar diese Woche mit den vielen Todesopfern gewesen sein muss. Aber schon angesichts der kleineren tragischen Momente, die sich eigentlich tagtäglich abspielen, bildet das Panorama aus unserem Küchenfenster und die generell schöne Stimmung unter den Menschen einen schwer greifbaren Kontrast.

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Es ist jetzt schon 6 Wochen her dass Lukas und ich uns in Marmaris voneinander verabschiedet haben. Während er Rhodos mit den Rad erkundete ging es für mich aufs Boot – eine Woche Urlaub mit meiner ganzen Familie. Der Kontrast zum vor allem körperlich anstrengenden Rad Alltag war heftig – plötzlich waren nicht mehr die Schlafplatz-suche oder Routenplanung wichtige Ziele des Tages, sondern die Frage wie man es schaffen kann zwischen den reichhaltigen und unfassbar köstlichen Mahlzeiten ein Hungergefühl zu entwickeln.

Es war eine Woche luxuriöses Seele baumeln lassen – für meine (von der Sonne vernachlässigten) Familie eine wichtige Erholung und Stärkung für den kalten deutschen Winter. Als Familie hatten wir glaube ich selten so viel Spaß miteinander. Ich war traurig und fühlte mich ein bisschen verloren als ich mich wieder auf den Weg machte. Nach der Zeit mit Lukas, der in den letzten Monaten ja immer bei mir war, über diese wunderschöne Woche mit meiner Familie war das Radeln ohne Begleitung und besonders ohne konkrete Route sehr ungewohnt.

Ganz alleine unterwegs zu sein ist doch sehr anders. Es ist natuerlich total unabhaengig, was schoen ist. Aber es kann auch sehr anstrengend sein, weil man sich nicht mal eben hinter seinem Reisepartner verstecken kann. Und auf unbestimmte Zeit alleine zu sein verstärkt dieses Gefühl, weil man eben nicht nur eine kurze Zeit ohne Begleitung ‘überbrücken’ muss. Ich war zwar nicht planlos – mein Ziel war Molyvos auf Lesbos, wo ich bis Weihnachten als Volunteer arbeiten wollte, aber wie genau ich dort hin komme wusste ich nicht und meinen Lukas mit dem Planungs-Durchblick habe ich schnell vermisst.

Meine ersten Radreise-Versuche alleine waren Kiki-typisch chaotisch, aber zumindest weiß ich nun, dass mein Rad in einen Minibus passt. Und ich weiß wie es sich anfühlt sich bei Nacht mit dem Rad auf eine Autobahn zu verirren, oder das Handy-Gps auch ohne Wifi funktioniert und nützliche Informationen darüber geben kann wie man sich eben nicht Nachts mit dem Rad auf eine Autobahn verirrt und schlussendlich auch das es ab und zu lohnenswert ist sich Hosteladressen vorher aufzuschreiben, statt auf offene Wifi-Netze zu hoffen. Zum Glück gibt es treue Geschwister zu Hause und zahlreiche türkische Männer die mit Rat und Tat zu Seite stehen. Dass ich seit Lukas Abschied allerdings 3 Platten hatte finde ich unnötig (insbesondere angesichts meiner fehlenden Luftpumpe).

Um 2 Uhr nachts erreichte ich mein Hostel in Izmir: Shanti Home.
Der Name hält was er verspricht, Shanti Home ist nicht nur ein Hostel, es ist ein Platz zum bleiben und selten habe ich erlebt dass die Besitzer und das ‘Personal’ (der Begriff passt hier wirklich überhaupt nicht) so aufrichtig herzlich und willkommend sind. Der Ort ist Familie: Auf Donationbasis gibt es jeden Morgen ein riesiges Frühstück, die Küche und alles was es an Essen zu finden gibt ist für jeden frei verfügbar und ebenso Räder, Waschmaschine, Drucker, oder der Computer (alles Donation-based). Das Schöne ist, dass so ein Gefühl von zu Hause auch dazu führt, dass die Leute selber mithelfen, ein bisschen aufräumen, kochen und sich generell, aber irgendwie unterbewusst, mehr Zeit für einander nehmen.

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Izmir ist eine tolle Stadt, viele junge Leute, riesige Maerkte, verwinkelte Strassen und Gassen in denen Okey gespielt und Chai getrunken wird. Man kann endlos lang an der Hafenpromenade spazieren oder sich den ganzen Tag in der Innenstadt verlaufen. Und Strassenmusik! Richtig viel Strassenmusik. Ich habe mich mit Mert, eiem Couchsurfer getroffen und er hat mir viele besondere Ecken gezeigt.

Und doch hat es mich irgendwie gestresst in Izmir zu bleiben – schließlich wollte ich ja als Volunteer mithelfen auf Lesbos und nun hing ich schon 3 Tage in Izmir ‘rum’ – ohne etwas ‘Vernünftiges’ zu machen. Ich habe natürlich nicht nur rumgehangen oder Kaffee getrunken oder so, aber direkt den Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa geholfen habe ich auch nicht.

Im Nachhinein weiß ich meine Izmir-Woche aber sehr zu schätzen. Manchmal erfährt man den Grund für gewisse Schritte und Ereignisse in Leben erst im später und Ich liebe das weil man sich dann von Zweifeln und Fragen, z.B. ob man gerade die richtige Entscheidung getroffen hat, weniger verrückt machen lässt. Für mich war es der beste Ort für diese Zeit. Ich konnte über die vergangenen Monate nachdenken und mich innerlich von der Reise verabschieden – um offen ein neues Kapitel aufzuschlagen. Besonderes wertvoll waren die Begegnungen mit Willi und Urigul. Es waren unfassbar wertvolle, ruhige und herzliche Tage.

Am Ende war es aber dennoch derselbe Gedanke, der mich dann nach 6 Tagen Shanti auf den Weg nach Griechenland trieb. Wäre es nur um mich gegangen, das weiß ich, hätte ich länger bleiben sollen. Vielleicht wäre es sogar nötig gewesen länger zu bleiben. So aber fuhr ich mit dem Bus und viel schöner, neuer Musik auf den Ohren Richtung Ayvalik. Mein Fahrrad von nun an gewappnet mit dem Auge gegen den boesen Blick: Nazar Boncuk.

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