Es ist jetzt meine 4. Woche auf Lesbos und ich weiss nicht genau wie ich diesen Reichtum an Erlebnissen zusammenfassen soll. Momentan schulde ich vielen von euch eine Antwort oder ein kurzes Lebenszeichen und obwohl es generell an Zeit nicht fehlt, ist es schwierig einen wirklich ruhigen Moment zu finden.
In den ersten Tagen war es schwer einen Überblick zu bekommen. Es gibt zum einen die ganzen NGOs oder private Gruppierungen, die in dem gesamten Umfeld von Molyvos aktiv sind. Zu verstehen wer wo und wann was macht ist eine Challenge denn es gibt eine Fülle von Aufgaben die bewältigt werden müssen. Die Aufgaben beginnen mit dem Moment an dem die Flüchtlinge die Überfahrt antreten. Mittlerweile ist es so gut organisiert, dass man hier eigentlich schon beobachten kann wie die Flüchtlinge auf der Türkischen Seite das Schlepperboot betreten. Wer gedacht hat, dass die Überfahrt nur Nachts geschieht liegt falsch. Die Meisten kommen bei Tag an. Während die Beobachtungsposten jeden Meter der Boote mit einem Fernglas verfolgen, machen sich die Rettungsschwimmer und co. schon am Strand bereit. Mit Schwimmwesten, die man auf der gesamten Insel zu Hauf findet, werden die Flüchtlinge in die richtige Richtung gelenkt. Oder, es wird zumindest versucht. Da aber die Flüchtlinge nicht wissen mit wem sie es zu tun haben, wird manchmal extra ein anderer Weg eingeschlagen, was problematisch werden kann wenn statt zum Sandstrand dadurch auf die Felsen zugesteuert wird. Meistens kentern die Boote nicht und die Rettungsschwimmer können Kinder und Hilfsbedürftige problemlos an Land tragen während die anderen kurz durch Knie-hohes Wasser gegen müssen. Am Strand warten Freiwillige und Ärzte dann mit Decken, Wechselkleidung und medizinischer Grundversorgung.
Von hier aus geht es zu den transit-camps Oxy oder Skala. Die Flüchtlinge können die 6 km laufen oder aber den Bus nehmen. Ein Team verteilt die Tickets und organisiert ein geordnetes Bus-loading. Im camp gibt es dann Essen, Wasser, eine warme UNHCR Decke, Toiletten und Schlafplätze. Seit neustem sind wir im Oxy-Lager sogar mit einem riesigen Heiz-Schlauch und einer mobilen Küche ausgestattet, die veganes Essen serviert. Die Freiwilligen verteilen, koordinieren, beantworten Fragen und noch viel wichtiger: sie heißen die Menschen willkommen. Herzlichkeit, ein Lächeln im Gesicht, eine Umarmung,… für die oftmals traumatisierten Flüchtlinge ist das wichtiger als alles Andere. Insbesondere da die zwischenmenschlichen Erfahrungen auf dem Fluchtweg, insbesondere auf türkischer Seite, alles andere als akzeptabel sein sollen.
Über Nacht schlafen die Menschen hier auf Isomatten oder auf dem Boden. Mit einer Decke pro Person, was trotz der neuen Heizung sehr kalt werden kann. Aber generell liegen sie trocken und es gab kaum noch die Situation dass alle Zelte gefüllt waren und die Menschen draußen auf der Straße schlafen mussten. Am Tag wird dann natürlich Müll gesammelt, Kleider gewaschen und getrocknet, Sonnensegel gespannt, Wasser verteilt usw… Wenn es Zeit gibt werden die existierenden Systeme verbessert, Schilder gebastelt oder auch mal ein professioneller Armdruecken-Tisch gebaut. Spontan ereignen sich immer wieder Fußballturniere oder Tauzieh-Wettkämpfe. Wenn ich etwas vermissen werde, dann sind es solche Momente. und die Sonnenuntergänge vor dem Camp. Die sind jedes mal atemberaubend schön.
Hier im Norden hört sich das alles gar nicht so schlecht an. Es ist ziemlich gut organisiert und ich würde behaupten dass die Flüchtlinge auf menschenwürdige Art begrüsst werden. Aber diese Struktur ist erst in den letzten Wochen gewachsen. Ich habe es seitdem ich hier bin nur einmal richtig voll erlebt und nach unserer Berechnung hatten wir an dem Tag ca 700 Leute über Nacht da. Aber es gab im Sommer Tage wo anscheinend 2000 Menschen im Oxy übernachtet haben. Dann ist die Wartezeit natürlich sehr lang, die Essensschlange zieht sich über Kilometer, die Sandwich-Factory kommt mit der Toast-Käse-Toast-Stapel-Produktion kaum hinterher, die Toiletten verstopfen, die Menschen weichen auf die umliegenden Felder und Hänge aus und eigentlich mangelt es an Allem, insbesondere die Zeit die Menschen nicht nur wie eine Nummer ‘abzuhandeln’ (“Wir brauchen noch 6 Nicht-syrer fuer den Bus nach Mytilinii!!!”).
W
enn man nicht genug Zeit hat mit den Menschen zu reden, sie zu beruhigen, Informationen zu verteilen, dann wird es schwierig ungleiche Behandlungen und Ungerechtigkeiten zu vermitteln und es kann es schnell zu Unruhe und Aggression kommen. Das ist zum Glück so gut wie nie passiert.
Von Oxy geht es weiter in Richtung Mytilini in eines der zwei Registrierungslager. Hier fängt es mit der Diskriminierung zwischen Syrern und Nicht-Syrern an. Auf Grund politischer Bestimmung erhalten Syrer bevorzugte Behandlungen. Im Camp Kara Tepe geht die Registrierung schnell, es gibt ausreichend Decken, Kleider, trockene und stabile Zelte und saubere Toiletten. Auch bei uns fahren die Busse für Syrer und Nicht-Syrer immer abwechselnd, obwohl der Anteil der Nicht-Syrischen Flüchtlinge viel größer ist. Wenn es voll ist müssen dann vor Allem die Nicht-Syrer warten. Je nachdem wie viele Flüchtlinge im Camp sind, kann es mehrere Stunden dauern bis die Flüchtlinge im Bus nach Mytilini sitzen. Klar dass der Protest groß ist wenn die soeben angekommenen Syrer schneller im Bus sitzen als die Afghanen, die seit 2 Stunden in der Hitze ausharren.
In Moria, Registrierungscamp Nummer 2, müssen die Leute oft tagelang auf ihre Registrierung warten und auch hier gibt es einen Bereich fuer Syrische Männer, der gut ausgestattet ist. Und dann gibt es den “Afghan-Hill” (wir probieren diese Bezeichnung durch Olive-Yard oder irgendwas zu ersetzen aber er hat sich so weit etabliert, jeder weiß wovon man spricht wenn man Afghan-Hill sagt). Der Hügel ist Privatland, auf dem wegen mangelndem Schlafplatz innerhalb des Camps alle übrig gebliebenen Flüchtlinge übernachten müssen. Der Bauer, dem der Olivenhain gehört, war bis vor kurzem zu keinerlei Kooperation bereit, weil sein Land so verdreckt wird. Es ist eine logische Konsequenz des Toilettenmangels, dass die Menschen eben ihre Bedürfnisse in der Natur erledigen und mir tut jede Frau Leid die hier an diesem Drecksberg ihre Tage hat. Vor ein paar Wochen wurden für die tausende Flüchtlinge zum ersten Mal eine Reihe Dixi-Klos für diese Seite des Camps geliefert (leider verdrecken Toiletten bei Dauerverwendung bekanntermaßen sehr schnell.. Schneller als der Cleaning-Service arbeiten kann, wann kommt der eigentlich?). Wenn man hier eine Sache lernt dann ist es das ein Mensch eben nicht gleich Mensch ist.
Und wenn ich in Moria arbeite (am Afghan-Hill) esse und trinke ich kaum, weil ich nicht weiß wo ich mich entleeren kann.
Der Mangel an Koordination und waren ist nicht so schlimm wenn es warm und sonnig ist. Nasse Kleider können getrocknet werden und eine Nacht unter Sternenhimmel ist an sich ja gar nicht schlecht. Es gibt genügend kommerzielle Anbieter bei denen man Handy aufladen, Decken, Zelte oder Essen kaufen kann (auch hier wieder Flüchtlings -Business). Problematisch wird es je mehr der Winter einbricht und es zunehmend kalt und nass wird. Vor 2 Tagen kam eine Familie um 11 Uhr Nachts zu mir. Fünf Erwachsene mit jeweils einem Kind auf dem Arm, teilweise Nass von der Bootsüberfahrt. Ein kleines Kind hing, nur wenig bekleidet, auf den Schultern des Vaters. Der Oberkörper hing quasi auf dem Kopf des Vaters und es war so erschöpft, dass es trotz beißender Kälte und freiem Rücken schlief. Ja und dann fragt dich so eine Familie wo sie denn schlafen kann. Unten am Hill waren selbst die kleinen Quechua Zelte mittlerweile gefüllt, nass oder einfach zu dreckig. Ich hätte mit ihnen den ganzen, steilen Berg hoch gehen können um zu schauen ob eines der Ikea Zelte frei ist, aber wenn nicht hätten wir wieder zurück kommen müssen. Hier unten gibt es außer die kleinen Billigzelte keine geschützte Schlafmöglichkeit. Auch nicht ausreichend Decken. Da wird man einfach nur verzweifelt. In dem Fall hatten wir und besonders die Familie Glück, da wir gerade das 2. Teezelt aufgebaut hatten, es aber noch nicht eingerichtet war. So haben wir einen Boden ausgerollt und die Familie hier einquartiert. Was fuer eine Erleichterung! Ich glaube sonst hätte ich die ganze Nacht geheult. In einer Nacht hatten wir hier Sturm und ich war im Norden im Oxy-camp und fühlte mich wirklich krank vor Sorge. Wenn es so stark windet dass fast schon die stabilen Ikea-Zelte wegfliegen, wie sieht es dann in Moria aus?? Ueber Nacht ist oft gar kein Helfer da. Bei uns im Oxy gibt es 3-8 Freiwillige plus 3 Security Männer.
Glücklicherweise lernt man mit der Zeit, dass auch solche Momente zu Ende und eigentlich immer gut ausgehen. Die Nacht ist schlimm aber wenn es am Tag die Sonne scheint sind die Strapazen schnell wieder vergessen. Wenn denn die Sonne scheint! Wenn nicht, dann sieht man Kinder, die weiß sind vor Kälte, deren Haut sich wie Marmor anfühlt. Das Gedränge an den Kleider- oder Essenszelten ist dann kaum aufzuhalten oder auszuhalten. und Das Schlimmste ist wirklich, wenn es nicht genug gibt und man einfach nicht helfen kann. Und das ist hier in Moria und war auch in Oxy vor ein paar Wochen so. Die Ideomeni Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien momentan…
Aber, auch hier in Moria etablieren sich langsam bessere Strukturen. Es gibt mehr Koordination zwischen den verstreuten Helfers-Gruppen, in der Essensausgabe, solide Zelte für Kleiderverteilung und vielleicht auch bald richtige Toiletten. Hoffentlich wird man nicht mehr Menschen, die seit 2 Tagen nichts mehr gegessen haben wegschicken müssen. Das bescheuerte ist, dass es oft in Moria total überfüllt ist, das Super Camp in Kara Tepe aber leer steht, bzw geschlossen ist. In solchen Momenten fragt man sich einfach nur “WIESO?????”.
Auch wenn die meisten Flüchtlinge möglichst schnell von Moria weiter nach Athen reisen wollen, ist es manchmal auch ganz schön, dass die Flüchtlinge hier mehrere Tage bleiben müssen und nicht wie in Oxy am selben Tag oder nächsten Morgen weiterreisen. So entstehen viel engere Beziehungen, ich kriege zB regelmaessig Farsi-stunden hier am Teezelt von Juval. Und die Flüchtlinge helfen Wasser zu holen, den Tee zuzubereiten, zu verteilen und aufzuräumen… Überall eben. Mit Freude, auch weil es die Wartezeit verkürzt! Und glücklicherweise hat der Organisationsmangel hier unten auch die positive Konsequenz dass es keine dummen Regelungen gibt, die die Mitarbeit der Leute verbietet. So packen alle mit an und es wird ein Gemeinschaftsprojekt. Fuer diesen Samstag planen wir eine “Human-Cleaning-Chain” um den Hügel von Dreck zu befreien :)
to be continued