Es ist jetzt schon 6 Wochen her dass Lukas und ich uns in Marmaris voneinander verabschiedet haben. Während er Rhodos mit den Rad erkundete ging es für mich aufs Boot – eine Woche Urlaub mit meiner ganzen Familie. Der Kontrast zum vor allem körperlich anstrengenden Rad Alltag war heftig – plötzlich waren nicht mehr die Schlafplatz-suche oder Routenplanung wichtige Ziele des Tages, sondern die Frage wie man es schaffen kann zwischen den reichhaltigen und unfassbar köstlichen Mahlzeiten ein Hungergefühl zu entwickeln.
Es war eine Woche luxuriöses Seele baumeln lassen – für meine (von der Sonne vernachlässigten) Familie eine wichtige Erholung und Stärkung für den kalten deutschen Winter. Als Familie hatten wir glaube ich selten so viel Spaß miteinander. Ich war traurig und fühlte mich ein bisschen verloren als ich mich wieder auf den Weg machte. Nach der Zeit mit Lukas, der in den letzten Monaten ja immer bei mir war, über diese wunderschöne Woche mit meiner Familie war das Radeln ohne Begleitung und besonders ohne konkrete Route sehr ungewohnt.
Ganz alleine unterwegs zu sein ist doch sehr anders. Es ist natuerlich total unabhaengig, was schoen ist. Aber es kann auch sehr anstrengend sein, weil man sich nicht mal eben hinter seinem Reisepartner verstecken kann. Und auf unbestimmte Zeit alleine zu sein verstärkt dieses Gefühl, weil man eben nicht nur eine kurze Zeit ohne Begleitung ‘überbrücken’ muss. Ich war zwar nicht planlos – mein Ziel war Molyvos auf Lesbos, wo ich bis Weihnachten als Volunteer arbeiten wollte, aber wie genau ich dort hin komme wusste ich nicht und meinen Lukas mit dem Planungs-Durchblick habe ich schnell vermisst.
Meine ersten Radreise-Versuche alleine waren Kiki-typisch chaotisch, aber zumindest weiß ich nun, dass mein Rad in einen Minibus passt. Und ich weiß wie es sich anfühlt sich bei Nacht mit dem Rad auf eine Autobahn zu verirren, oder das Handy-Gps auch ohne Wifi funktioniert und nützliche Informationen darüber geben kann wie man sich eben nicht Nachts mit dem Rad auf eine Autobahn verirrt und schlussendlich auch das es ab und zu lohnenswert ist sich Hosteladressen vorher aufzuschreiben, statt auf offene Wifi-Netze zu hoffen. Zum Glück gibt es treue Geschwister zu Hause und zahlreiche türkische Männer die mit Rat und Tat zu Seite stehen. Dass ich seit Lukas Abschied allerdings 3 Platten hatte finde ich unnötig (insbesondere angesichts meiner fehlenden Luftpumpe).
Um 2 Uhr nachts erreichte ich mein Hostel in Izmir: Shanti Home.
Der Name hält was er verspricht, Shanti Home ist nicht nur ein Hostel, es ist ein Platz zum bleiben und selten habe ich erlebt dass die Besitzer und das ‘Personal’ (der Begriff passt hier wirklich überhaupt nicht) so aufrichtig herzlich und willkommend sind. Der Ort ist Familie: Auf Donationbasis gibt es jeden Morgen ein riesiges Frühstück, die Küche und alles was es an Essen zu finden gibt ist für jeden frei verfügbar und ebenso Räder, Waschmaschine, Drucker, oder der Computer (alles Donation-based). Das Schöne ist, dass so ein Gefühl von zu Hause auch dazu führt, dass die Leute selber mithelfen, ein bisschen aufräumen, kochen und sich generell, aber irgendwie unterbewusst, mehr Zeit für einander nehmen.
Izmir ist eine tolle Stadt, viele junge Leute, riesige Maerkte, verwinkelte Strassen und Gassen in denen Okey gespielt und Chai getrunken wird. Man kann endlos lang an der Hafenpromenade spazieren oder sich den ganzen Tag in der Innenstadt verlaufen. Und Strassenmusik! Richtig viel Strassenmusik. Ich habe mich mit Mert, eiem Couchsurfer getroffen und er hat mir viele besondere Ecken gezeigt.
Und doch hat es mich irgendwie gestresst in Izmir zu bleiben – schließlich wollte ich ja als Volunteer mithelfen auf Lesbos und nun hing ich schon 3 Tage in Izmir ‘rum’ – ohne etwas ‘Vernünftiges’ zu machen. Ich habe natürlich nicht nur rumgehangen oder Kaffee getrunken oder so, aber direkt den Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa geholfen habe ich auch nicht.
Im Nachhinein weiß ich meine Izmir-Woche aber sehr zu schätzen. Manchmal erfährt man den Grund für gewisse Schritte und Ereignisse in Leben erst im später und Ich liebe das weil man sich dann von Zweifeln und Fragen, z.B. ob man gerade die richtige Entscheidung getroffen hat, weniger verrückt machen lässt. Für mich war es der beste Ort für diese Zeit. Ich konnte über die vergangenen Monate nachdenken und mich innerlich von der Reise verabschieden – um offen ein neues Kapitel aufzuschlagen. Besonderes wertvoll waren die Begegnungen mit Willi und Urigul. Es waren unfassbar wertvolle, ruhige und herzliche Tage.
Am Ende war es aber dennoch derselbe Gedanke, der mich dann nach 6 Tagen Shanti auf den Weg nach Griechenland trieb. Wäre es nur um mich gegangen, das weiß ich, hätte ich länger bleiben sollen. Vielleicht wäre es sogar nötig gewesen länger zu bleiben. So aber fuhr ich mit dem Bus und viel schöner, neuer Musik auf den Ohren Richtung Ayvalik. Mein Fahrrad von nun an gewappnet mit dem Auge gegen den boesen Blick: Nazar Boncuk.