Eigentlich war das Folgende als reine Selbststudie geplant. Jedoch bin in Gesprächen über Fasten und mein Experiment auf großes Interesse gestoßen – vor allem in meiner Altersgruppe – und habe ich mich daher entschlossen auch hier meine Erfahrungen zu teilen.
Einleitung
Ernährung hat einen hohen Stellenwert bei Radreisen. Zum einen ist der Alltag so reduziert, dass den einzelnen Komponenten, unter anderem auch dem Essen, eine höhere Bedeutung zukommt. Andererseits verbrennt man beim täglichen Sport soviel Energie, die wieder angefuttert werden muss bzw. kann – Essen ist ja schließlich auch Genuss. Um auf längere Zeit leistungsfähig zu bleiben achte ich dabei (meistens) gesund und nachhaltig zu essen. Allerdings mit der Einschränkung, dass ich gerne Unmengen in mich reinstopfe und dann nach Mahlzeiten erschlagen bin.
Das Phänomen kenne ich (und meine Freunde) gut: Ich kann mich nicht daran erinnern wann ich das letzte mal einen halbvollen Teller stehen ließ. Das geht dann oft soweit, dass ich auch noch die Essensreste meiner Tischnachbarn vernichte. Ursprung dessen ist wohl, dass ich schon als Jugendlicher mit Fressorgien (mit Vali nach dem BMX fahren, Familienpizzen, Frittieren bis zum Platzen usw.) mein Hunger- und Sättigungsgefühl abtrainiert habe. Für mich gibt es gefühlt kaum noch Unterschiede zwischen “Ich bin satt”, “Ich bin voll” und “Ich kann nicht mehr”.
Im normalen Alltag kompensiere ich die Folgen des Überfressens mit (viel) Kaffee. Auf dem Fahrrad funktioniert das aber nur bedingt denn da merke ich an meiner körperlichen Leistungsfähigkeit unmittelbar (oder am nächsten Tag) was mir gut tut.
Oft schreit aber nicht der Magen sondern der Kopf nach Essen. Ich merke (unterbewusst), dass ich ein Energietief habe und folgere daraus, dass ich was essen sollte. Habe ich dann gegessen, bin ich danach oft noch müder. Was helfen würde – eine entspannte Pause – kommt meinem Kopf nicht in den Sinn.
Kiki und mir ist das besonders bei unseren Kaffeepausen aufgefallen: Meistens suchen wir uns ein schönes Café, genießen einen Cappuccino und versacken dort oft für längere Zeit; Wir quatschen, lesen, schreiben Tagebuch, planen die Route oder genießen einfach nur die Ruhe und laden (unsere) Akkus auf. Im Laufe der Radreise hat die Häufigkeit unserer Kaffeepausen zugenommen aber die erwünschte Wirkung abgenommen. Im Nachhinein ist uns klar geworden, dass wir Kaffee unterbewusst mit all diesen Faktoren verknüpft haben und die Lust auf Kaffee eigentlich Verlangen nach Entspannung ist. Unser Kaffeekonsum hat sich trotzdem nicht reduziert :)
Beim Essen ist das ähnlich. Je länger ich unterwegs bin, desto mehr verliert es den Zweck als Nahrungsmittel und Energielieferant. Vielmehr fahre ich an Bäckereien, Eisdielen, Börek-Buden, Supermärkten usw. vorbei und denke “Boah, das wäre jetzt geil!”. Mit der Folge, dass ich ständig überfressen bin, der Körper viel zu sehr mit der Verdauung beschäftigt ist, ich mich nach Kaffeepausen sehne (am besten noch mit leckeren Teilchen) und letztendlich der Zweck des Essens – Energie gewinnen – absolut verfehlt ist. Es gibt Tage an denen mir meine Muster vollkommen bewusst sind und ich meine Lust nach kurzfristiger Befriedigung durch Essen widerstehen kann, angemessen & gut esse und die positive Wirkung direkt spüre. An den meisten Tagen siegt jedoch die Lust und Völlerei. Das eigentliche Problem ist der mangelnde langfristige Fokus um auf den Genuss verzichten zu können / wollen.
Schon längere Zeit rotiert in meinem Kopf die Idee des Fastens um die Vorgänge des eigenen Körpers & Kopfes bei längerem Nahrungsverzicht zu erfahren. Die Zeit auf Rhodos schien mir dazu ideal.
Ich glaube ich habe in meinem Leben nie nur einen Tag auf Essen verzichtet (abgesehen von Krankheiten). Dabei ist ist Fasten und das Nähren aus seinen eigenen Energiereservern etwas so natürliches – viele Tiere tun es über den Winter, Raubtiere zwischen ihren Fängen und auch der Mensch wird in seiner Geschichte wohl häufig darauf angewiesen gewesen sein. Da in unserer modernen Welt die Nahrungsbeschaffung so einfach ist, entfällt die Notwendigkeit. Aber damit verlernen wir nicht nur eine grundlegende Funktion des Körpers sondern auch Freiheit. Denn den Verzicht zu üben bedeutet, dass man nicht essen muss sondern immer die Wahl hat.
Statt Samstag Abend panisch festzustellen, dass der Kühlschrank leer ist und noch schnell in den Supermarkt zu flitzen könnten wir auch entspannt zum Spiegel gehen, unsere körpereigenen Reserven betrachten und beschließen den Sonntag mal zu fasten. (Jedes Kilogramm Körperfett liefert 7000 Kalorien, d. h. Mann braucht davon 350 g pro Tag, Frau noch etwas weniger. Dabei dauert es ohnehin einige Zeit bis die Glykogen- und Eiweißspeicher leer sind und mit der Fettverbrennung begonnen wird.)
Dass ich mit Verzicht und dem anfänglichen Hungergefühl (z. B. bei der Suche nach einem Schlafplatz) schlecht umgehen kann, hat Kiki schnell lernen müssen: Der Hunger zieht mich nicht nur in ein Energietief sondern zieht auch mit meine Laune runter. So trifft der Spruch aus der Snickers-Werbung bei mir ganz gut “Wenn du hungrig bist, wirst du zur Diva” bzw. eher zur Zicke :)
Wieso will ich also fasten?
Aus Neugierde, der Erfahrung willens (wie reagiert Körper und Geist?), um meine Willenskraft zu testen und vornehmlich um einen neuen Bezug zu Essen zu erlangen und mein Hunger- & Sättigungsgefühl zu sensibilisieren
Wie faste ich?
Eine Woche lang nur Wasser, Tee und als täglicher Luxus ein Glas Saft. Dabei umrunde ich langsam (!) die Insel Rhodos und faulenze viel.
Was habe ich beim Fasten erlebt?
Nach gut einem Tag fasten hatte ich kein Hungergefühl mehr, auch nicht wenn an den zahlreichen duftenden Restaurants in Rhodos vorbei geschlendert bin.
Allerdings habe ich auch recht schnell gemerkt wie der Körper auf Sparmodus umschaltet. Ich fröstelte schneller und mein Kreislauf brauchte etwas länger um in Schwung zu kommen. In den ersten zwei Tagen habe ich zudem viel geschlafen, auch tagsüber. Am drittem Tag fing ich mit der Inselumrundung an. Das Radeln und die frische Luft tat gut aber bei den Anstiegen merkte ich, dass meine körperliche Leistungsfähigkeit doch reduziert war. So radelte ich auch die folgenden Tagen nie mehr als 50 km täglich und verbrachte mehr Zeit mit Faulenzen am Strand.
Da es schon so spät im Jahr ist, sind die Nächte entsprechend lang – knapp 12 Stunden. Das ist beim Campen schon eine Herausforderung und auch wenn man abends noch länger liest oder Musik hört. Überrascht bin ich schon viel früher in den Nächten aufgewacht (manchmal schon nach 5 Stunden), war hellwach und ausgeschlafen. Das Problem war dann die Zeit bis zum Sonnenaufgang zu nutzen. Auch über den Tag hatte ich dann kein Verlangen mehr nach Schlaf – scheinbar ein Vorteil wenn der Körper keine Energie mehr für die Verdauung (ca. 30% des gesamten Energieverbrauchs) benötigt.
Die Schattenseiten waren wie gesagt der schwächere Kreislauf und phasenweise fühlte ich mich abgeschlagen, lustlos und konnte mich schwerer aufraffen. Aber vermutlich hätte ich mein erstes Fasten auch schonender gestalten sollen ohne meine Kreislauf mit viel Bewegung, Sonnenbädern und anschließenden Abkühlungen im Meer ständig zu fordern.
Am 7. Fastentag war ich endlich nochmal in einem Supermarkt und kaufte mir voller Vorfreude einen Apfel als erste Mahlzeit für den nächsten Morgen. Am Abend kamen mir jedoch Zweifel ob ich das Experiment nicht doch fortsetzen will. Ich fühlte mich so fit und klar im Kopf wie lange nicht mehr. Und ich liebe die Einfachheit des Alltags: Nicht nur entfallen Einkaufen, das Zubereitung des Essens und die Mahlzeiten sondern vor allem der (häufige) Gedanke was ich denn über den Tag esse. Ich muss mich nur darum kümmern das ich stets genug Wasser (3-4 Liter am Tag) zur Verfügung habe; Alles was ich sonst zum Leben brauche befindet sich in meinen Packtaschen. Die Tage sind so nicht nur deutlich länger sondern ich fühle mich noch unabhängiger – natürlich auf begrenzte Zeit.
Im Großen und Ganzen freue ich mich jetzt doch sehr wieder langsam in die Welt des Essens einzutauchen und die Nahrung schrittweise und bewusst aufzubauen. Es fühlt sich so an als würde ich nach längerer Reise wieder nach Hause kommen und meine Umgebung mit anderen Augen sehen. Und dabei hoffe ich, dass die andere, neue Perspektive auf Essen doch länger anhält als der genannte Effekt nach Reisen.