Es war ein mühsamer, steiler Anstieg auf über 3200 m mit den miesesten Pisten, die ich bisher  auf dem Fahrrad erlebt habe. Und es war Birks erster Pass! Celebration mit Ross und Alessia, mit denen wir seit 4 Tagen gemeinsam radeln. Sie radeln übrigens von London nach Australien und machen tolle Fotos, Videos und Blogs ihrer Abenteuer unter www.rollingeast.com, Facebook, Instagram, YouTube… Schaut mal rein. Foto Credits gehen an Ross.

Nun geht’s also wirklich los. Nicht wirklich ausgeschlafen aber hochmotiviert treffen wir die letzten Vorbereitungen für die ersten Tage. Alle Schrauben, Schläuche und Mäntel werden gecheckt. Wir füllen Wasser und Essen auf und sagen uns dann nur noch: Ab geht das Abenteuer.
Wir haben uns für die anspruchsvollere aber angeblich schönere Nordroute nach Kalaikhum entschieden. Wir fahren los auf den berühmten Pamir Highway M41, der direkt in Dushanbe startet. Und anfänglich trägt er wohl seinen Namen Highway zurecht. Vierspurig in beide Richtungen führt uns dieser  raus aus der Hauptstadt. Und sofort fallen und zwei Sachen im tadjikischen Straßenverkehr auf:
Es gibt offensichtlich keine Verkehrsregeln. Rückwärtsgang mitten auf der Schnellstraße? Klar, kein Problem!
Die Tadjiken sind durchaus rücksichtsvoll. Kein Mal haben wir einen Tadjiken gesehen der ohne zu schauen aus einer Parklücke fuhr oder ohne zu hupen  uns überholte?.
Die Hitze wird zunehmend drückend, weshalb wir eine kleine Pause im Schatten einlegen. Währenddessen kommen die zwei Pärchen aus dem Hostel (Lena&Stephan und Ross&Alessia) an uns vorbei. Alle auf der Suche nach Wasser. Nicht ahnend, dass wir doch noch viel Zeit miteinander verbringen werden.
Nach einer guten Stunde heißt es: Roll On. Gestärkt fahren wir weiter und kommen nach ca. 20 km erneut zum stehen. Eine tadjikische Bauernfamilie winkt uns zu sich heran und lädt uns zum Essen ein. Mit Gedanken im Kopf nichts ungeschältes oder ungekochtes zu Essen hauen wir trotzdem richtig rein. Und es ist unglaublich lecker. Man schmeckt die Sonne in den Früchten. Es entsteht eine muntere Plauderei über unsere Herkunftsländer. Zur Krönung wird Musik aus den 80ern gespielt: Modern Talking? . Die ganze Straße wird beschallt. Nach einer Tour über die Felder der Familie setzen wir uns gestärkt wieder in Bewegung.
Nach kurzer Zeit kommt ein erster Anstieg vor dem wir kurz anhalten. Auf einmal sind wir zu sechst. Die zwei Pärchen sind wieder da. Wir radeln eine Weile gemeinsam, schlagen unsere Nachtlager jedoch getrennt auf.
Nach einer ruhigen ersten Nacht zwischen Birkenbäumen geht es weiter. Nach kurzer Zeit erreichen wir den ersten Polizei Kontrollpunkt. Nicht verwunderlich, denn hier beginnt der Autonome Oblast Berg-Badachschan(GBAO). Ab jetzt radeln wir kontinuierlich zu sechst.
Nach mehreren Kilometern asphaltierter Straße zeigt das Navi unbeständige Straße an. Kurz darauf geschieht es: Schotter wohin das Auge reicht. Nun wir es anstrengend. Ständiges Auf und Ab zerrt an den Nerven. Gegen 17.45 schlagen wir unser Nachtlager am Wegesrand auf. Zugestaubt und ungeduscht gibt’s Abendessen und danach das wohlverdiente Bettchen.
Am nächsten Morgen fahren wir gut einen Kilometer bis wir eine Quelle direkt an der Straße entdecken. Duschen ist angesagt. Lukas geht gleich in voller Montur baden, die Anderen ziehen sich immerhin noch das T-Shirt aus. Frisch und wach nehmen wir die nächsten Kilometer in Angriff. Die Landschaft wird hügliger aber auch hinter jeder Kurve schöner.

Am nächsten Polizei Checkpoint begegnen wir einem Van mit der Aufschrift FREE CANDY. Wir schauen auf das Kennzeichen: Österreich. Vier Jungs aus Österreich bei der Mongol-Ralley. Aber es gab tatsächlich kostenlos Süßes.
Nach der kurzen Stärkung geht’s weiter. Jetzt durch tiefe Schluchten. In denen ich kurz mein Navi verloren habe, es jedoch nach einer Suchfahrt wiedergefunden habe. Der Weg wir immer bescheidener und hügeliger. Wir müssen zum ersten Mal den Wasserfilter einsetzen, da es keinen Laden weit und breit gibt. Dafür finden wir einen exzellenten Zeltplatz. Wo wir diesmal zu siebt übernachten. Sten aus Thüringen leistet uns Gesellschaft.
Am nächsten Tag wollen wir bis zum Fuße des Anstiegs zum Pass kommen. Wir erhöhen etwas die Schlagzahl, da es Lena nicht so gut geht und sie mit Stephan im nächst größeren Dorf eine Pause einlegen wollen. Bevor wir jedoch selbst das Dorf erreichen passiert es. Lux’ Kette bleibt im Umwerfer hängen und meint sich spalten zu müssen. Und als wäre die Kette nicht genug, hat es den Umwerfer direkt auch unbrauchbar gemacht. Wie gut dass es eh nur bergauf geht?.

Pannenreparatur: 3…2…1…Gute Laune!?

Lux’ neuer Umwerfer?

Wir decken uns in dem Dorf derweil mit Lebensmitteln ein, da es den besten Supermarkt weit und breit hat. Die Bedienung spricht sogar fließend deutsch.
Wir entscheiden uns ca. 5km hinter dem Dorf zu Campen.

An Tag 5 wollen wir bis kurz unter den Pass kommen. Wir entscheiden uns bis auf 2500m zu radeln. Dort ist ein vielversprechendes Dorf und möglicherweise ein kleiner Lebensmittelladen. Auf dem Weg hoch klappt uns zwischenzeitlich die Kinnlade runter. Anstrengende Straßen werden mit atemberaubenden Landschaften belohnt. Nach einem Bad im Bergbach schaffen wir es bis zum Dorf. Doch Lebensmittelladen Fehlanzeige! Stattdessen drückt uns ein Einwohner 2 kg Brot in die Hand: Geil! Auf der Suche nach einem Zeltplatz erreichen wir einen weiteren Polizei Checkpoint. Zeitgleich kommt eine Gruppe holländischer Motrorradfahrer an und erzählt uns, dass Sie gerade direkt aus Dushanbe kommen. Mit Begleitfahrzeug und null Gepäck: Toll…
Unser Schlafplatz fällt mies aus. Auf einem Feld voller Kuhmist muss das Zelt stehen. Dennoch ist es eine angenehme Nacht.

Tag 6 bedeutet Gipfelsturm. Wir nehmen die letzten 700hm in Angriff. Bei 10km heißt das konstant 7% Steigung. Nach knurrenden Hirtehunden und Pferde-, Kuh- und Ziegenherden erreichen wir glücklich den Pass auf 3258m Höhe. Wir haben uns die Mittagspause verdient!
Nun beginnt der Abstieg. Mit Vorfreude auf ein gemütliches Rollen-Lassen kommt recht schnell die Erkenntnis, dass der Abstieg härter wird als der Aufstieg. 100% Konzentration und eine Bewährungsprobe für Mensch und Material. Wir werden ordentlich durchgeschüttelt. Die Straße darf man nicht Straße nennen. Es ist eine Zumutung. Aber wir werden alsbald mit atemberaubenden Klippen, Schluchten und bergen belohnt. Wir halten oft an, nur um die Aussicht zu genießen.

Am Ende der Straße wartet ein Kontrollpunkt auf uns. Hiernach geht es wieder entspannter zur Sache. Mit einem türkisblauen Fluß an unserer Seite kommen wir unversehrt in Khaleikhum an. Erstmal in den Supermarkt. Nach 5 Tagen schauen was man bekommt, ist man nun im Paradies. Es gibt alles! Wir decken uns mit dem Gedanken an eine Weiterfahrt ein. Dazu kommt es jedoch nicht, da wir mit Alessia und Ross ein Bierchen getrunken haben. Das hat uns so aus den latschen gehauen, dass wir uns entschieden haben im Hotel Energie zu tanken. Morgen geht’s es weiter Richtung Khorog.

By the way, we love Banana Brot. 



 

Die Nervosität steigt, die Vorfreude jedoch ist berauschend. Nach einer entspannten Nacht und ein paar Stunden Autofahren, treffen Lux und ich uns am Frankfurter Flughafen. Mit zwei großen Kisten und zwei Kleinen Gepäcktaschen im Anschlag geht’s zum Check-In.

Nach einem netten Pläuschchen mit Mitarbeitern der US-Botschaft in Dushanbe und ein paar Tipps für die Tour geben wir endlich auch unser Gepäck auf. Die Angst vor Übergepäck zerstreut sich recht schnell nachdem 2 Frauen vor uns ca. 300kg extra aufgegeben haben. Die Dame am Schalter war offensichtlich etwas geschockt und wollte unsere Kisten einfach schnell einchecken.

woohoo, ab geht’s!

Ein Radler zum Einstand

Der Flug geht um 18:40. Ein Abendesse, mini Dessert und ein paar Instantkaffee später landen wir in Dushanbe. Es ist nun 5 Uhr morgens Ortszeit. In einem Zustand zwischen Übermüdung und Hyperaktivität stellen wir erfreulicherweise fest, dass die Drahtesel die Reise unbeschadet überstanden haben. Nachdem wir den Stempel im Pass hatten geht’s nach draußen. So, erstmal Rad zusammenbauen. Schon nach kurzer Zeit bildete sich eine große Menschentraube, interessiert was wir da so machen. Bei der Ansage, dass wir das Pamirgebirge durchfahren wollen gab’s nur einen kurzen Lacher.

6Uhr morgens: Wir sind startklar!

Radtest um 6 Uhr morgens

Mittlerweile hell legen wir die ersten 2km zum Hostel zurück. Angekommen fallen wir erschöpft ins Bett.

Mittags plauschen wir noch mit anderen Radfahrern. Z.B. Einem Pärchen aus Hamburg was schon 5,5 Monate unterwegs sind. Direkt werden kleinere Reisetipps ausgetauscht. Unsere Entscheidung fällt uns Montag gegen 8 auf den weg zu machen um den kühlen Morgen zu nutzen.

Ein Spaziergang durch die Stadt und leckeres Abendessen geht es nun ins Bett.

Mal schauen wie die Internetlage auf der Route ist. Wahrscheinlich gibt’s das nächste Update erst in 1,5 Wochen.

Viele Grüße

Birk

Um auch mit dem Kapitel Lesbos und meiner Reise abzuschließen möchte diesen letzten Blogeintrag den Flüchtlingen widmen und eine Idee davon geben wer da eigentlich zu uns auch nach Deutschland kommt. Ich habe in den letzten Einträgen oft von “den Flüchtlingen” geredet, wobei es natürlich keine einheitliche Gruppe von Flüchtlingen gibt. Aber auch wenn ich immer mein Bestes gegeben habe, die einzelnen Menschen nicht als Objekte zu behandeln, war es besonders in hektischen Momenten, wenn viele Menschen gleichzeitig ankommen, sehr schwer die Herzlichkeit und individuelle Anerkennung zu bewahren. Und das fängt beim Blickkontakt während der Essensausgabe an und es kann sehr schnell passieren, dass es zu einer sehr schnellen und sehr unpersönlichen Abhandlung von Massen, nicht Menschen, wird.

Aber besonders in ruhigen Momenten, wenn Zeit ist für Gespräche oder einfach Blicke, die man sich gegenseitig schenkt, weiß man wieder, dass es sich bei ‘den Flüchtlingen’ um Menschen wie dich und mich handelt. Und es sind diese Momente, die die Zeit auf Lesbos so besonders gemacht haben. Wenn ich Müll gesammelt habe und ein Kind mich nach weiteren Handschuhen fragt. Wenn uns Flüchtlinge freiwillig oder auf Bitten helfen Wasser in großen Kanistern zu holen oder essen zu verteilen. Wenn zaghafte Gespräche in unbefangenen Unterhaltungen enden, wenn gemeinsam Musik gemacht und gesungen, wird, bei Tauzieh-kämpfen und Fußballturnieren.

Dann erfährt man, wie vielseitig die Hintergründe sind. Wie furchtbar fast jedes einzelne Schicksal. Vielseitig ist auch die Vorstellungen von Europa und der eigenen Zukunft. Manche haben konkrete Ziele und Wünsche. Würden gerne studieren, Musik machen und weiter Hiphop unterrichten. Andere wären schon glücklich einfach 3 warme Mahlzeiten am Tag zu bekommen und sind dafür auch bereit illegal in Europa zu bleiben und auf dem Arbeitsmarkt ausgenutzt zu werden. Für Andere spielt das Wetter eine wichtige Rolle. Regen und Kälte ist man in den meisten Ländern des Mittleren Ostens nicht gewöhnt (was sich auch in der dünnen Kleidung und schlechten Wintervorbereitung bermerkbar macht).

Und natürlich, neben den schönen Erfahrungen gibt es auch traurige oder frustrierende Momente. Einmal gab es fast ne Schlägerei vor dem Tea-Zelt in Moria – was hauptsächlich daran lag, dass die Schlange endlos lang war, weil wir der einzige geöffnete Essensverteilungspunkt waren. (Das Suppenzelt, was sonst 24/7 Suppe verteilt, musste wegen Protesten der Kommerziellen Anbieter auf dem Camp-Gelände vorrübergehend schließen.)

Je länger die Wartezeiten sind, desto größer ist natürlich die Anspannung und wir waren mit der Verteilung einfach zu langsam. Es wollte allerdings auch keiner der Flüchtlinge freiwillig mithelfen.
Später (nachdem ich auf Grund der Schlägerei kurz eskaliert bin und alle Männer rund um das Teezelt vertrieben habe (haha)), hatten wir allerdings ein großartiges Team von 3 Marrokanern, die mit viel Yalla Yalla die gesamte Menge in kürzester Zeit mit Tee versorgt haben. Da war der Frust schon wieder vergessen, vor allem da Marrokaner die besten aller Partymacher sind (insbesondere im Dasein von Kameras).

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An einer Nachtschicht im Oxy habe ich außerdem Ali kennengelernt, der nicht schlafen konnte und deswegen mit Sophie, einem Nachtwächter und mir stundenlang das türkische Okey gespielt hat. Ali kommt aus dem Iraq und ist ein sehr ruhiger Typ, der nicht viel redet und vielleicht sogar ein bisschen schüchtern ist. Zwischendurch kam eine Frau von der UN und hat nach einer Zigarette gefragt. Ali hat ihr ein komplett neues Paket gegeben und ließ sich auch von Protesten nicht abhalten. Später meinte er nur ‘Cigarrettes are the last thing that I care about right now’. Aber ich denke es ist auch eine Frage von geben und nehmen. Viele Menschen hier machen auch uns Volunteers Geschenke und man fühlt sich unglaublich schlecht etwas anzunehmen in dem Wissen, dass die Flüchtlinge selbst kaum etwas besitzen. Ich denke es ist auch eine Frage der Würde: schenken ist etwas so schönes, auch für den Schenker. Und ständig anzunehmen ist gar nicht so einfach, weil es auch das Gefühl von Hilflosigkeit und Bedürftigkeit vermittelt. Als Ali den Bus nach Moria nehmen musste, wollte mir unbedingt sein Silberarmband schenken. Ich habe es mit all meiner Überzeugungskraft probiert, aber letztenendes konnte ich nicht ablehnen. Als er mir später erzählte, dass er es 6 Jahre lang trägt, ohne es je ausgezogen zu haben, fühlte ich mich noch schlechter aber im nachhinein freue ich mich und werde es tragen bis wie uns wiedersehen, dann kriegt er es zurück (das war der Deal).

Alis Geschichte ist eine der wenigen, die ich bis nach Deutschland mitverfolgen konnte. Nach 5 Tagen rief er mich an, um mir mitzuteilen, dass er jetzt in Deutschland angekommen ist (eine Rekordzeit!). Leider war er unglaublich frustriert: die Massenunterkunft in Oldenburg bestand aus einer alten Tennishalle, irgendwo im Nirgendwo in einem Industriegebiet, wo man keine Menschenseele auf der Straße antrifft. Man stelle sich nur den Kontrast zum Iraq vor: sonnig, warm, viele Menschen überall. Dagegen Ali, in der Pampa, im damals auch noch total kalten und verregneten Oldenburg, ohne mobil zu sein, um zumindest das Stadtleben erleben zu können. Alle neuen Familien, die zur Tennishalle gebracht werden, verlassen sie so schnell es geht, weil es einfach weit und breit nichts gibt. So war Ali, mit noch 2 weiteren Jungs, auch noch der einziege Flüchtling in dieser viel zu großen Massenunterkunft. Sein einziger Kommentar am Telefon war ‘I go back to Iraq. I feel like a dog here’.

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Vor der Abfahrt hatte ich Ali die Internetseiten mitgeteilt, die Informationen über die Integrationsmöglichkeiten in jedem Land und sogar jeder Stadt in Europa zusammen gesammelt haben. Eine davon ist www.w2eu.info (way to Europe). Ich hätte mittlerweile wissen können, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass er sich die Informationen raussucht und bevor Ali freiwillig zurück in den Iraq geht, informierte mich meinerseits.

Ich erfahre: Oldenburg hat nicht nur einen Boxclub, der umsonst Kurse für Flüchtlinge anbietet, es gibt auch ein Integrationscenter mit Arabisch sprechendem Personal.
Kurzum rufe ich im Integrationscenter an – Ali solle sich erst telefonisch melden und dann einfach vorbeikommen. Ich gebe Ali die Telefonnummer und 10 Min später ruft mich ein total euphorisch-glücklicher Ali an: ‘Die haben gesagt, sie regeln alles für mich!’. Ich soll Ali erklären wie er zum Büro kommen kann, das mache ich natürlich gerne. Ali geht zum Taxistand (mit einem weiteren Flüchtling aus der Tennishalle), ruft mich an, ich teile dem Taxifahrer den Zielort mit.

Am Ende hat Ali es innerhalb von 5 Tagen nicht nur geschafft ganz durch Europa nach Deutschland zu reisen, am 6. Tag hat er seinen Deutschkurs in Oldenburg begonnen und der Asylantrag wurde von den Mitarbeitern im Integrationscenter in die Wege geleitet. Am Ende lief es doch noch anders und Ali ist mittlerweile in Berlin, aber er hat seine Duldung, wartet noch auf die Anerkennung als Flüchtling, hat ein Bahnticket sowie die nötige ärztliche Versorgung und nimmt weiterhin Deutschunterricht. Im Grunde lief alles wie am Schnürchen, aber man sieht, dass es gerade für den Start Unterstützung seitens der Einheimischen braucht, die eben wissen an welche Adressen man sich wenden kann und muss. Für mich war es ein Leichtes die 2,3 Anrufe zu tätigen, aber der Effekt ist riesig.

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Natürlich weiß ich, dass es so nicht für alle Flüchtlinge abläuft. Die langen Wartezeiten, insbesondere in den großen Städten, am LaGeSo in Berlin insbesondere, befinden sich tagtäglich in den Medien.
Nichts desto trotz finde ich es wichtig auch Geschichten wie die von Ali zu erzählen. Um zu zeigen, dass es funktionieren kann und funktioniert. Vielleicht besser in kleineren Städten und Gemeinden als in unserer Hauptstadt. Und auch wenn ich weiß, dass Ali Vorteile hatte: er ist alleine unterwegs, jung, geduldig, kann Englisch und ist nicht mittellos – dennoch ist es Tatsache, dass Ali 2 Tage in Deutschland war und den Deutschkurs begonnen hat. Und das finde ich großartig und macht mich sogar ein bisschen Stolz auf Deutschland und die Organisation, die sich im Zuge der Flüchtlingsströme auch durch eine große Anzahl engagierter Freiwilliger entwickelt hat. Angefangen bei der W2EU-homepage bis zu den Mitarbeitern des privaten Integrationscenters in Oldenburg. Ich kann nur hoffen dass es auch für die übrigen Flüchtlinge zukünftig besser laufen wird und kann hoffentlich mit dem Eintrag zu neuer Motivation beitragen. Ali werde ich bei nächster Gelegenheit in Berlin besuchen.

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Bevor ich nach Lesbos gekommen bin habe ich mich oft gefragt wie genau die Flüchtlinge eigentlich von der Türkei nach Europa kommen.
Wie läuft das mit den Schleppergruppen, wie organisieren die sich, was kostet so eine Überfahrt überhaupt und wie kommen die Schlepper wieder zurück in die Türkei?

Ich habe mich außerdem gefragt warum die Familien überhaupt den gefährlichen Weg über die Agave antreten und dabei das Risiko eingehen ihre Kinder oder das eigene Leben zu verlieren.
Viele haben das Meer noch nie zuvor gesehen, Afghanistan zum Beispiel ist ein ‘Land-locked’ country und hat gar keine Küste.
Warum also begeben sich die Flüchtlinge sich nochmal (freiwillig) in die Gefahr des Todes wenn die Sicherheit in der Türkei doch gewährleistet ist?

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In den 6 Wochen, die ich auf Lesbos verbringen durfte, habe ich auf viele dieser Fragen Antworten gefunden. Darüber hinaus erfährt man allerdings viel viel mehr, viele Dinge, die in den Medien nicht thematisiert werden und bei denen ich heute noch ungläubig den Kopf schütteln muss. Ein paar dieser Einblicke werde ich in diesem Eintrag teilen, in Form von ‘Not so much “FUN-FACTS”‘ über Lesbos und die Flüchtlinge.

1. Warum treten die Flüchtlinge die gefährliche Überfahrt an?
Zu allererst muss man klarstellen dass es bei der Überfahrt zwar immer wieder Todesfälle und Vermisste gibt, die meisten der Boote, die sich auf den Weg nach Lesbos machen, aber sicher ankommen.
Die Medien berichten natürlich vornehmlich die dramatischen und tragischen Einzelfälle, aber darüber hinaus vergisst man leicht, dass tagtäglich tausende Menschen die Insel erreichen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Überfahrt also etwas schief geht, ist dementsprechend kleiner als sie erscheint und das senkt das wahrgenommene Risiko auf Seiten der Flüchtlinge erheblich.

Dazu kommt, dass die Situation in der Türkei nicht wirklich als lebenswert zu bezeichnen ist. Es gibt kaum staatliche Unterstützung außerhalb der Erstaufnahmelager und eine Sicherheit langfristig geduldet zu werden, gibt es nicht. Das Vertrauen in die europäische Politik ist da größer als in die Türkische Regierung. Das ist verständlich, wenn man hört wie brutal die Türkische Polizei gegen die Flüchtlinge vorgeht und wie hoch anscheinend auch die Feindlichkeit in der Türkischen Bevölkerung ist. Diese Information basiert allerdings nur auf einige Berichte der Flüchtlinge.

2. Herkunftsländer der Flüchtlinge.
Zu meinem Erstaunen kommen die Flüchtlinge nicht nur aus Syrien, Iraq oder Afghanistan, sondern aus vielen verschiedenen Ländern wie z.B. Pakistan, Iran, Marocco, Algerien, Somalia, Eritrea,…
Es sind viel mehr Länder als ich erwartet hatte. Mein Plan ein bisschen Arabisch zu lernen habe ich verworfen, weil es unter den Arabisch sprechenden Gruppen fast immer Menschen gibt, die in Englisch oder Franzoesisch übersetzen können. Farsi/Persisch oder Urdu werden viel dringender benötigt, weswegen ich begonnen habe Farsi zu lernen. Jetzt heiße ich jeden Iranischen oder Afghanischen Flüchtling mit ‘Hosh Ahmadid’ willkommen :).

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Die Vielfalt an Herkunftsländern, Sprachen und Kulturen in so kleiner Umgebung ist faszinierend! Neben den Flüchtlingen sind nämlich auch die Volunteers aus der ganzen Welt eingeflogen. Es gibt Helfer aus quasi allen Europäischen Ländern, Nord-, Zentral- und Südamerika, aber auch Neuseeland, Israel,… wirklich aus der ganzen Welt. Darunter befinden sich natürlich eine große Kulturelle und religiöse Vielfalt. Viele Freiwillige haben eigene Flüchtlingserfahrungen gemacht und leben aber seit Jahren in Europa oder Amerika. Wiederum manche Freiwillige sind von verrückten Motivationen geleitet: zwei Brasilianer starten zum Beispiel ein Projekt, was die Flüchtlinge davon abhalten soll die Schlepper zu zahlen und stattdessen ein Flugticket nach Brasilien zu kaufen, um dort ein neues (vom Privatsektor finanziertes) Leben zu beginnen. Verrückt! Wie die Zwei auf Lesbos kommen weiss der Geier, aber in Anbetracht der Überfahrtspreise von bis zu 1500 Dollar für einen Erwachsenen und 700-900 für Kinder, ist die Idee gar nicht so illusorisch.

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3. Die Bootsüberfahrt!
Ich habe oben schon erwähnt, dass die 8km lange Überfahrt teuer ist. Kinder kosten zwischen 700 und 900 Dollar, erwachsene Flüchtlinge haben nach eigener Angabe bis zu 1500 zahlen müssen. Angesichts der Tatsache, dass teilweise bis zu 15-köpfige Familien in Lesbos ankommen, kann man sich vorstellen, dass es generell nicht die ärmsten Menschen sind, die zu uns nach Europa kommen. Dennoch fangen hier die Unterschiede zwischen den reichen und den ärmeren Flüchtlingen an. Die meisten von Syrern besetzen Boote sind relativ sicher: die Qualität der Boote ist höher und sie sind bei weitem nicht so überfüllt wie dvon ärmeren Flüchtlingsgruppen besetzten Boote. Ein Syrer hat sogar ein Fahrrad mit rüber transportieren lassen, wohingegen der Rollstuhl eines Afghanen schon mal über Bord geworfen wird.

Für die richtig Armen gibt es dann noch einen Schlecht-Wetter-Rabatt (!) und auch auch die Überfahrt bei Nacht ist günstiger. Da passiert es dann besonders häufig, dass der Motor schon wenige Kilometer hinter der Türkischen Küste versagt. Glücklicherweise können die Flüchtlinge dann eine Hotline anrufen (ich weiß nicht woher die diese Informationen haben, aber irgendwie haben sie sie erhalten), und über Telefon wird erklärt wie man den Motor wieder reparieren kann (mit Erfolg!).

Da die Schlepper natürlich in der Türkei bleiben wollen, wird meistens ein Mann unter den Flüchtlingen ausgewählt, der dann das Steuer übernehmen muss – ob er will oder nicht. Obwohl die Flüchtlinge unter Umständen noch nie auf oder im Wasser gewesen sind, und die meisten nicht schwimmen können. Proteste werden nicht anerkannt, auch nicht, wenn die Wellen zu hoch sind. Manche Flüchtlinge berichteten davon, mit der waffengewalt gezwungen worden zu sein die Überfahrt anzutreten. Der Bootsmangel führt dazu, dass die Schlepperbanden probieren Boote mehrfach zu verwenden. Einer der Schlepper kommt also mit um das Boot danach zurück zu führen. Wir hatten die Situation, dass die Freiwilligen den Schlepper der Polizei ausliefern wollten, aber die Flüchtlinge haben sich für ihn eingesetzt. Warum? Es stellte sich heraus, dass die Schleppergruppen extra Familien getrennt hatten: Frauen und Kinder mussten auf der Türkischen Seite bleiben, als Garantie dafür, dass das Boot auch die Rückfahrt antreten kann. Ekelhaft ist so was.

4. Das Flüchtlings-Business
Wenn über Monate hinweg mehrere Tausend Menschen von der Türkei nach Europa kommen, entstehen nicht nur neue Strukturen im Sektor der humanitären Hilfe, es entstehen auch viel kommerzielles Business. Teilweise in akzeptabler Form, wenn Essen, Zelte, Schlafsäcke, oder Simkarten (nicht überteuert) verkauft werden; teilweise stehen aber betrügerische Absichten im Vordergrund und Flüchtlinge werden in Ihrer Notsituation auf ekelerregende Weise ausgenutzt.
Zum Beispiel gibt es auf der Türkischen Seite eine richtige Industrie für Schwimmwesten. In Izmir habe ich Geschäfte gesehen, die nichts anderes als Schwimmwesten verkaufen (obwohl das wohl jetzt anscheinend verboten worden ist).

Neben normalen Qualitätsunterschieden gibt es auch Westen (oftmals mit einem Fake-YAMAHA Schriftzug versehen, welcher wohl Vertrauen erwecken soll), die im Falle von Bewusstlosigkeit die Rückenlage nicht beibehalten. So ertrinken die Flüchtlinge, auch wenn sie über Wasser gehalten werden. Im schlimmsten Fall aber ist das Innenmaterial von so schlechter Qualität, dass es sich mit Wasser vollsaugt und damit die FLüchtlinge zusätzlich erschwert.

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Das ist nicht das einzige Business das profitiert:
Ich habe schon in früheren Beiträgen berichtet, dass die Volunteers auf Lesbos sehr gut organisiert sind, Übersicht über die Flüchtlingsboote zu bewahren und durch professionellen Fernrohre den Weg der Boote nachvollziehen… Dennoch, besonders bei Nacht sind es oftmals nicht die Volunteers, die als erstes über Ankunftsort und -Zeit Bescheid wissen, sondern die griechische Motor-Mafia!
Die reißen sich dann so schnell es geht den Motor der Gummi- oder Holzboote unter den Nagel und kümmern sich nicht sonderlich um die Flüchtlinge. Die größten Streitigkeiten habe ich nicht unter Flüchtlingen, sondern unter Griechen erlebt, die sich (vor den Augen der Flüchtlinge) lauthals um den Motor gestritten haben. Es ist ein lukratives Geschäft, da die Motor- und Schlauchbootproduktion (aus China?), wohl zu langsam ist, für die konstante bis steigende Nachfrage. Darüber hinaus ist es natürlich günstiger einen Second-hand-motor den Griechen abzukaufen und wieder zu verwenden als Neuware.

5. Endlich und Europa – Was nun?
Wenn die Flüchtlinge sicher das Europäische Festland erreicht haben, ist die Stimmung fast immer heiter und freudig. Umarmungen, Gesänge, eine Menge Selfies – alles ist dabei und neben der Freude ist es vor allem Erleichterung, die man den meisten Gesichtern ablesen kann. Weniger fröhlig ist es in bitterkalten Nächten, wenn die Flüchtlinge klatschnass an Land kommen oder sogar aus dem Wasser gerettet werden mussten. Auch hier lernt man aus Erfahrung: es gan Fälle, bei denen Flüchtlinge bewusstlos und stark unterkühlt waren. Nichtsahnend haben die Freiwilligen natürlich die nassen, dreckigen Kleider gegen trockene getauscht – nicht ohne Wertsachen und andere Gegenstände aus den Taschen aufzubewahren. Was sie allerdings nicht bedacht hatten war, dass die meisten Flüchtlinge (große Mengen) Geld und Ausweise oft zusätzlich in die Kleidung eingenäht haben. Der Schock war groß, als die Flüchtlinge realisieren mussten, dass die Kleidung nicht mehr bei Ihnen war. Am Ende wurden alle Kleider wiedergefunden und den Flüchtlingen zugeordnet – aber was für ein Stress! Man darf nicht vergessen, dass selbst das wenige Gepäck, was die Flüchtlinge bei sich tragen, nicht vor Diebstahl oder auch der Polizei sicher ist.

Wenn ich die heitere Stimmung in Oxy sehe, bin ich natürlich froh, denn die erste Hürde ist geschafft! Aber oft fällt es mir schwer in dieselbe Euphorie zu verfallen, weil ich weiß wie hart und zermürbend der Weg für die meisten Flüchtlinge noch sein wird.

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Teilweise ist es unglaublich wie wenig die Menschen (trotz Smartphones und Internet?) eigentlich über Europa wissen. Es machte mir immer wieder bewusst, dass die Entscheidung für die Flucht nach Europa spontan und aus großer Not heraus getroffen wird. Viele der Flüchtlinge dachten, sie könnten von Lesbos nun zu Fuß bis nach Athen gehen oder direkt den Bus nach Deutschland nehmen.
Die Idee Informationen über Plakate, Broschüren oder Flyer zu verteilen, funktioniert nur bedingt und representiert eine sehr Westliche Denkweise: in den meisten Herkunftsländern der Flüchtlinge läuft die Wissensvermittlung über eine Face-to-Face Kommunikation (wie uns eine Iranische Freiwillige erklärte). Sich die Informationen über die Internetseiten wie www.w2EU.info oder die Ausdrucke selber zu erschließen, ist eine Annahme, die nicht dem Denk- und Handlungsalltag vieler Flüchtlinge entspricht. Solche Infos sind für die NGOs und Volunteers natürlich Gold wert.

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Ein weiterer Fun-Fact ist, dass ausgerechnet die Zeugen Jehovas es nötig haben in den schlimmsten Camps Missionarsarbeit zu leisten. Sie laufen nicht nur über das Campgelände und probieren (illegalerweise) Muslime vom Glauben abzubringen, die verteilen auch Comics auf Farsi und Arabisch. Einmal befanden sich diese Comics sogar in Schlafsäcken, die verteilt wurden. Judith ist regelmäßig an die Decke gegangen wenn sie wieder einen Missionar in Moria erwischt hat.

Neben der kulturellen und nationalen Vielfalt, stellt man schnell fest, dass nicht nur junge, gesunde Männer oder Familien den Weg nach Europa wagen, sondern sogar die hilfsbedürftigsten Menschen losziehen. Für mich war das am bedrückendsten, auch im Hinblick auf die kommende Integration in einer komplett neuen Gesellschaft. Ich könnte mir niemals meine eigene Oma mit 80 Jahren auf einem Schlauchboot auf dem Weg nach Afghanistan vorstellen. Geschweige denn, dass sie auf einem harten UNCHR Zeltboden schläft. Im Winter. Das gleiche gilt für Mütter mit 1, 2 Monate alten Babies. Oder Männer im Rollstuhl. Die ganzen Prozeduren auf der Reise: mal eben ein paar Kilometer zu Fuß laufen, das Gepäck, die Schlafstätten, Anstehen für jede Kleinigkeit, das zermürbende Warten, keine Privatsphäre – all dass sind Strapazen, die man sich selbst nach 6 Wochen Volunteering nicht vorstellen kann und nichts desto trotzz hoffe ich, dass es in Deutschland und all den anderen Zielländern Verständnis für die Menschen gibt.

Es sind jetzt fast 6 Wochen auf Lesbos vergangen. In dieser Zeit hat sich auf der Insel viel getan. In Moria entwickeln sich langsam Strukturen, es gibt ein einige permanente Zeltstrukturen am Olivenhain/Afghan-hill und eine neue Essensküche in der 6 Jungs aus GB probieren 24/7 warme Mahlzeiten zuzubereiten. Es gibt mehr Koordination unter den Volunteergruppen, die zum Teil auch von Molyvos regelmäßig nach Moria runter fahren um mitzuhelfen.

Im Norden hingegen wird es ruhiger. Seit dem EU-Flüchtlingsgipfel, bei dem der Türkei 3 Milliarden EUR Hilfsgelder zugesprochen wurden, haben sich die Flüchtlingsströme in Richtung Süden verlagert. Die meisten Boote kommen in der Nähe von Mytilini an, vermutlich da die Pushbacks der Türkischen Küstenwache im Norden zugenommen haben oder die Bestechung der Polizei in dem Bereich schwieriger oder zu teuer geworden ist. Die Gerüchteküche brodelt auf jeden Fall, was auch mit der zunehmenden Arbeitslosigkeit der Volunteers im Norden zusammenhängt. Wir wissen nicht genau wie stark die Militar- oder Polizeikontrollen auf Türkischer Seite sind und auch welche Form der Pushbacks stattfinden, aber manche Volunteers auf den Beobachtungsposten an der Küste berichteten sogar vom Einsatz von Wasserwerfern: Wenn die Schlauchboote nicht durch Militärpräsenz zurückzuhalten sind werden eben einfach ein paar Liter Wasser von oben auf die Boote geschossen. So werden die Flüchtlinge dann gezwungen zurück ans Türkische Festland zu fahren. Das ist vermutlich auch ein Grund weshalb sich nun die meisten Gruppen hauptsächlich nachts oder bei schlechtem Wetter auf den Weg machen. Nicht nur die Überfahrt wird somit gefährlicher, auch die Arbeit der Freiwilligen, die die Boote auf Lesbos an Land bringen, wird erheblich erschwert. Zwei meiner Mitbewohnerinnen waren fast nur noch Nachts unterwegs und haben teilweise stundenlang im Wasser gestanden. Durch die Dunkelheit und die verängstigten und uebermüdeten Flüchtlinge passiert es häufiger das Boote kentern und natürlich machen diese Umstände die Koordination für die Volunteers nicht einfacher. Oft kommen die Mädels klatschnass und total erschöpft zu Hause an, wenn meine morgendliche Schicht beginnt.

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Das Bizarre an der Verschiebung der Fluchtroute ist, dass der Norden durch die Arbeit und Investitionen der letzten Wochen jetzt optimal ausgestattet ist, aber quasi leer steht. Die zwei grossen (beheizten!) UNHCR Zelte werden nicht genutzt; die Köche der 15m langen mobilen Küche, die 15000 Mahlzeiten am Tag produzieren könnte, kochen nur für die paar gelangweilten Volunteers, die nach wie vor die Oxy Schicht belegen müssen und sich zwangsläufig mit dem Bau von bislang ungenutzten Bänken/ Stühlen/ (Armdrück-) Tischen beschäftigen. Die Lifeguards an den Stränden, die leider keine Bänke zu bauen haben, kriegen schlechte Laune auf Grund fehlender Energieauslastung und Ego-Befriedigung bei der Flüchtlingsrettung. Es ist wirklich verrückt: die Volunteers im Norden haben nichts zu tun und wünschen sich (leicht beschämt) neue Flüchtline herbei. Und während es im Süden immer noch an Strukturen, insbesondere Zelten und Helfern (und Sitzgelegenheiten) mangelt, baut das International Rescue Committee am Strand neben Oxy und Scala noch ein weiteres (perfekt ausgestattetes) Transit-Camp auf: viele weiße beheizte Zelte und anscheinend sogar mit warmen Duschen. Weitere ungenutzte Schlafplätze – es steht genauso leer wie Oxy.

Natürlich werden diese ruhigen Phasen genutzt um das Camps zu optimieren, aber da es unklar ist, ob jemals wieder Flüchtlinge ankommen, ist das Gefühl der Sinnlosigkeit nicht weit entfernt. Die Ungewissheit macht es für die NGOs besonders schwer verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen – man weiß schließlich nie ob es nur ein Kurzzeit-Status ist und am nächsten Tag plötzlich wieder 30 Boote ankommen. Mittlerweile sind die meisten Volunteers “on call” und viele organisieren Car-Sharing-Groups um den Süden zu unterstützen (und sich wieder nützlich zu fühlen). Auch ich hab mich nach 3 Tagen Däumchen-drehen am Strand dazu entschlossen dauerhaft im Lemon-Tea-Zelt mitzuarbeiten.

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Es ist jetzt meine 4. Woche auf Lesbos und ich weiss nicht genau wie ich diesen Reichtum an Erlebnissen zusammenfassen soll. Momentan schulde ich vielen von euch eine Antwort oder ein kurzes Lebenszeichen und obwohl es generell an Zeit nicht fehlt, ist es schwierig einen wirklich ruhigen Moment zu finden.

In den ersten Tagen war es schwer einen Überblick zu bekommen. Es gibt zum einen die ganzen NGOs oder private Gruppierungen, die in dem gesamten Umfeld von Molyvos aktiv sind. Zu verstehen wer wo und wann was macht ist eine Challenge denn es gibt eine Fülle von Aufgaben die bewältigt werden müssen. Die Aufgaben beginnen mit dem Moment an dem die Flüchtlinge die Überfahrt antreten. Mittlerweile ist es so gut organisiert, dass man hier eigentlich schon beobachten kann wie die Flüchtlinge auf der Türkischen Seite das Schlepperboot betreten. Wer gedacht hat, dass die Überfahrt nur Nachts geschieht liegt falsch. Die Meisten kommen bei Tag an. Während die Beobachtungsposten jeden Meter der Boote mit einem Fernglas verfolgen, machen sich die Rettungsschwimmer und co. schon am Strand bereit. Mit Schwimmwesten, die man auf der gesamten Insel zu Hauf findet, werden die Flüchtlinge in die richtige Richtung gelenkt. Oder, es wird zumindest versucht. Da aber die Flüchtlinge nicht wissen mit wem sie es zu tun haben, wird manchmal extra ein anderer Weg eingeschlagen, was problematisch werden kann wenn statt zum Sandstrand dadurch auf die Felsen zugesteuert wird. Meistens kentern die Boote nicht und die Rettungsschwimmer können Kinder und Hilfsbedürftige problemlos an Land tragen während die anderen kurz durch Knie-hohes Wasser gegen müssen. Am Strand warten Freiwillige und Ärzte dann mit Decken, Wechselkleidung und medizinischer Grundversorgung.

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Von hier aus geht es zu den transit-camps Oxy oder Skala. Die Flüchtlinge können die 6 km laufen oder aber den Bus nehmen. Ein Team verteilt die Tickets und organisiert ein geordnetes Bus-loading. Im camp gibt es dann Essen, Wasser, eine warme UNHCR Decke, Toiletten und Schlafplätze. Seit neustem sind wir im Oxy-Lager sogar mit einem riesigen Heiz-Schlauch und einer mobilen Küche ausgestattet, die veganes Essen serviert. Die Freiwilligen verteilen, koordinieren, beantworten Fragen und noch viel wichtiger: sie heißen die Menschen willkommen. Herzlichkeit, ein Lächeln im Gesicht, eine Umarmung,… für die oftmals traumatisierten Flüchtlinge ist das wichtiger als alles Andere. Insbesondere da die zwischenmenschlichen Erfahrungen auf dem Fluchtweg, insbesondere auf türkischer Seite, alles andere als akzeptabel sein sollen.

Über Nacht schlafen die Menschen hier auf Isomatten oder auf dem Boden. Mit einer Decke pro Person, was trotz der neuen Heizung sehr kalt werden kann. Aber generell liegen sie trocken und es gab kaum noch die Situation dass alle Zelte gefüllt waren und die Menschen draußen auf der Straße schlafen mussten. Am Tag wird dann natürlich Müll gesammelt, Kleider gewaschen und getrocknet, Sonnensegel gespannt, Wasser verteilt usw… Wenn es Zeit gibt werden die existierenden Systeme verbessert, Schilder gebastelt oder auch mal ein professioneller Armdruecken-Tisch gebaut. Spontan ereignen sich immer wieder Fußballturniere oder Tauzieh-Wettkämpfe. Wenn ich etwas vermissen werde, dann sind es solche Momente. und die Sonnenuntergänge vor dem Camp. Die sind jedes mal atemberaubend schön.

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Hier im Norden hört sich das alles gar nicht so schlecht an. Es ist ziemlich gut organisiert und ich würde behaupten dass die Flüchtlinge auf menschenwürdige Art begrüsst werden. Aber diese Struktur ist erst in den letzten Wochen gewachsen. Ich habe es seitdem ich hier bin nur einmal richtig voll erlebt und nach unserer Berechnung hatten wir an dem Tag ca 700 Leute über Nacht da. Aber es gab im Sommer Tage wo anscheinend 2000 Menschen im Oxy übernachtet haben. Dann ist die Wartezeit natürlich sehr lang, die Essensschlange zieht sich über Kilometer, die Sandwich-Factory kommt mit der Toast-Käse-Toast-Stapel-Produktion kaum hinterher, die Toiletten verstopfen, die Menschen weichen auf die umliegenden Felder und Hänge aus und eigentlich mangelt es an Allem, insbesondere die Zeit die Menschen nicht nur wie eine Nummer ‘abzuhandeln’ (“Wir brauchen noch 6 Nicht-syrer fuer den Bus nach Mytilinii!!!”).
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enn man nicht genug Zeit hat mit den Menschen zu reden, sie zu beruhigen, Informationen zu verteilen, dann wird es schwierig ungleiche Behandlungen und Ungerechtigkeiten zu vermitteln und es kann es schnell zu Unruhe und Aggression kommen. Das ist zum Glück so gut wie nie passiert.

Von Oxy geht es weiter in Richtung Mytilini in eines der zwei Registrierungslager. Hier fängt es mit der Diskriminierung zwischen Syrern und Nicht-Syrern an. Auf Grund politischer Bestimmung erhalten Syrer bevorzugte Behandlungen. Im Camp Kara Tepe geht die Registrierung schnell, es gibt ausreichend Decken, Kleider, trockene und stabile Zelte und saubere Toiletten. Auch bei uns fahren die Busse für Syrer und Nicht-Syrer immer abwechselnd, obwohl der Anteil der Nicht-Syrischen Flüchtlinge viel größer ist. Wenn es voll ist müssen dann vor Allem die Nicht-Syrer warten. Je nachdem wie viele Flüchtlinge im Camp sind, kann es mehrere Stunden dauern bis die Flüchtlinge im Bus nach Mytilini sitzen. Klar dass der Protest groß ist wenn die soeben angekommenen Syrer schneller im Bus sitzen als die Afghanen, die seit 2 Stunden in der Hitze ausharren.

In Moria, Registrierungscamp Nummer 2, müssen die Leute oft tagelang auf ihre Registrierung warten und auch hier gibt es einen Bereich fuer Syrische Männer, der gut ausgestattet ist. Und dann gibt es den “Afghan-Hill” (wir probieren diese Bezeichnung durch Olive-Yard oder irgendwas zu ersetzen aber er hat sich so weit etabliert, jeder weiß wovon man spricht wenn man Afghan-Hill sagt). Der Hügel ist Privatland, auf dem wegen mangelndem Schlafplatz innerhalb des Camps alle übrig gebliebenen Flüchtlinge übernachten müssen. Der Bauer, dem der Olivenhain gehört, war bis vor kurzem zu keinerlei Kooperation bereit, weil sein Land so verdreckt wird. Es ist eine logische Konsequenz des Toilettenmangels, dass die Menschen eben ihre Bedürfnisse in der Natur erledigen und mir tut jede Frau Leid die hier an diesem Drecksberg ihre Tage hat. Vor ein paar Wochen wurden für die tausende Flüchtlinge zum ersten Mal eine Reihe Dixi-Klos für diese Seite des Camps geliefert (leider verdrecken Toiletten bei Dauerverwendung bekanntermaßen sehr schnell.. Schneller als der Cleaning-Service arbeiten kann, wann kommt der eigentlich?). Wenn man hier eine Sache lernt dann ist es das ein Mensch eben nicht gleich Mensch ist.
Und wenn ich in Moria arbeite (am Afghan-Hill) esse und trinke ich kaum, weil ich nicht weiß wo ich mich entleeren kann.

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Der Mangel an Koordination und waren ist nicht so schlimm wenn es warm und sonnig ist. Nasse Kleider können getrocknet werden und eine Nacht unter Sternenhimmel ist an sich ja gar nicht schlecht. Es gibt genügend kommerzielle Anbieter bei denen man Handy aufladen, Decken, Zelte oder Essen kaufen kann (auch hier wieder Flüchtlings -Business). Problematisch wird es je mehr der Winter einbricht und es zunehmend kalt und nass wird. Vor 2 Tagen kam eine Familie um 11 Uhr Nachts zu mir. Fünf Erwachsene mit jeweils einem Kind auf dem Arm, teilweise Nass von der Bootsüberfahrt. Ein kleines Kind hing, nur wenig bekleidet, auf den Schultern des Vaters. Der Oberkörper hing quasi auf dem Kopf des Vaters und es war so erschöpft, dass es trotz beißender Kälte und freiem Rücken schlief. Ja und dann fragt dich so eine Familie wo sie denn schlafen kann. Unten am Hill waren selbst die kleinen Quechua Zelte mittlerweile gefüllt, nass oder einfach zu dreckig. Ich hätte mit ihnen den ganzen, steilen Berg hoch gehen können um zu schauen ob eines der Ikea Zelte frei ist, aber wenn nicht hätten wir wieder zurück kommen müssen. Hier unten gibt es außer die kleinen Billigzelte keine geschützte Schlafmöglichkeit. Auch nicht ausreichend Decken. Da wird man einfach nur verzweifelt. In dem Fall hatten wir und besonders die Familie Glück, da wir gerade das 2. Teezelt aufgebaut hatten, es aber noch nicht eingerichtet war. So haben wir einen Boden ausgerollt und die Familie hier einquartiert. Was fuer eine Erleichterung! Ich glaube sonst hätte ich die ganze Nacht geheult. In einer Nacht hatten wir hier Sturm und ich war im Norden im Oxy-camp und fühlte mich wirklich krank vor Sorge. Wenn es so stark windet dass fast schon die stabilen Ikea-Zelte wegfliegen, wie sieht es dann in Moria aus?? Ueber Nacht ist oft gar kein Helfer da. Bei uns im Oxy gibt es 3-8 Freiwillige plus 3 Security Männer.

Glücklicherweise lernt man mit der Zeit, dass auch solche Momente zu Ende und eigentlich immer gut ausgehen. Die Nacht ist schlimm aber wenn es am Tag die Sonne scheint sind die Strapazen schnell wieder vergessen. Wenn denn die Sonne scheint! Wenn nicht, dann sieht man Kinder, die weiß sind vor Kälte, deren Haut sich wie Marmor anfühlt. Das Gedränge an den Kleider- oder Essenszelten ist dann kaum aufzuhalten oder auszuhalten. und Das Schlimmste ist wirklich, wenn es nicht genug gibt und man einfach nicht helfen kann. Und das ist hier in Moria und war auch in Oxy vor ein paar Wochen so. Die Ideomeni Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien momentan…

Aber, auch hier in Moria etablieren sich langsam bessere Strukturen. Es gibt mehr Koordination zwischen den verstreuten Helfers-Gruppen, in der Essensausgabe, solide Zelte für Kleiderverteilung und vielleicht auch bald richtige Toiletten. Hoffentlich wird man nicht mehr Menschen, die seit 2 Tagen nichts mehr gegessen haben wegschicken müssen. Das bescheuerte ist, dass es oft in Moria total überfüllt ist, das Super Camp in Kara Tepe aber leer steht, bzw geschlossen ist. In solchen Momenten fragt man sich einfach nur “WIESO?????”.

Auch wenn die meisten Flüchtlinge möglichst schnell von Moria weiter nach Athen reisen wollen, ist es manchmal auch ganz schön, dass die Flüchtlinge hier mehrere Tage bleiben müssen und nicht wie in Oxy am selben Tag oder nächsten Morgen weiterreisen. So entstehen viel engere Beziehungen, ich kriege zB regelmaessig Farsi-stunden hier am Teezelt von Juval. Und die Flüchtlinge helfen Wasser zu holen, den Tee zuzubereiten, zu verteilen und aufzuräumen… Überall eben. Mit Freude, auch weil es die Wartezeit verkürzt! Und glücklicherweise hat der Organisationsmangel hier unten auch die positive Konsequenz dass es keine dummen Regelungen gibt, die die Mitarbeit der Leute verbietet. So packen alle mit an und es wird ein Gemeinschaftsprojekt. Fuer diesen Samstag planen wir eine “Human-Cleaning-Chain” um den Hügel von Dreck zu befreien :)

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to be continued

3 Wochen ist es her dass wir auf der Fähre in die Türkei Josua und Judith, zwei Radreisende aus der Schweiz kennengelernt hatten. Sie wollten dort den Flüchtlingen helfen, die seit Januar in immer grösserer Anzahl auf der Insel ankommen. Von ihnen wusste ich, dass jede Hand willkommen ist, da der Flüchtlingsstrom anhält und immer noch tagtäglich mehrere tausende(!) Leute die Insel passieren. Generell gesehen hätte Aachen mit Sicherheit auch Bedarf an freiwilligen Helfern gehabt, aber irgendwie wollte ich eine Vorstellung davon bekommen wie der Weg der Menschen aussieht, die zu uns nach Europa kommen. Außerdem hatte ich hier die Sicherheit ohne große bürokratische Umstände mithelfen zu können.

Lesbos ist landschaftlich ein Traum. Die 70 km von der Hafenstadt Mytilini in den Norden nach Molyvos waren wunderschön, allerdings auch sehr anstrengend. Das lag zum einen an meinem Schlafmangel (ich hatte in meiner erste Nacht alleine free-campen nicht so seelenruhig geschlafen wie mit Lukas, das kann aber auch an den Hunden gelegen haben die mich zwischendurch wütend aufweckten), den ganzen Bergen und meiner Kaufsucht in der Turkei. Ich war beladen wie noch nie zuvor und nicht mal die Charango passte in meine rote Radwurst! (Ja, das kiloschwere Holz-Okey war es trotzdem Wert & Lukas: ich weiß wie du gerade guckst).

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Meine ersten Schritte auf der Insel tat ich begeistert aber dementsprechend schwitzig! Nach mehreren Stunden auf dem Rad erreichte ich Molyvos am Abend. Da der Ort sehr nah an dem 20 km langen Küstenabschnitt liegt wo die meisten Flüchtlingsboote ankommen, sieht man nicht nur regelmäßig Flüchtlingsgruppen, es haben sich darüber hinaus auch Mengen von Freiwilligen unterschiedlichster NGOs angesiedelt. Mein erster Eindruck war sehr positiv. Selten habe ich einen Ort gesehen wo man von Anfang von so vielen herzlichen und freundlichen Gesichtern begrüsst wird. Vielleicht liegt es am Wetter (es scheint fast immer die Sonne) oder an der Arbeit mit den Flüchtlingen, dass so heitere Stimmung herrscht. Vielleicht auch am Ort Molyvos, der Bilderbuch-schön und richtig schnuckelig ist. Ein Fischerdorf am steilen Hang gelegen, mit vielen kleinen Gassen und einer Burg am oberen Ende, die hier allerdings noch fast niemand besucht hat (weil sie so hoch liegt?) haha.

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Nach ein paar Übernachtungen im Hotel und bei meinen neuen 3 dänischen Supergirls Rie, Fanny und Sophie, bin ich letzten Endes mit Judith und Josua in ein (gesponsertes) Haus gezogen und lebe seither so schön wie nie zuvor, mit Terrasse sowie Blick aufs Meer und Hafen. Von hier kann man wunderbar die griechische Küstenwache und das Frontexboot beobachten (inkl. Portugiesische Besatzung mit schönen Oberarmen – sagt Judith gerade). Momentan sitzen wir übrigens im Food-Zelt (von Ikea), es ist 6 Uhr morgens und wir beenden unsere Nachtschicht im Oxy Transitlager.

Molyvos ist auch der Ort an dem sich vor circa einem Monat die Tragödie mit vielen Ertrunkenen abgespielt hat. Judith hat mir erzählt wie 10, 15 Menschen gleichzeitig bewusstlos im Hafen lagen und teilweise reanimiert wurden. Damals gab es nicht ausreichend verfügbare Ärzte oder Freiwillige und auch Judith und Josua hatten erst nach 1 Monat einen freien Tag. Jetzt gibt es sogar einen Zahnarzt und die Anzahl der Helfer ist rapide angestiegen, sodass jeder normalerweise nur eine Schicht am Tag übernehmen muss. Wenn jetzt ein Boot in der Küste ankommt kann es passieren, dass mehr Helfer als Hilfsbedürftige dabei sind und die Leute darum kämpfen wer nun das klatschnasse Kind in Silberfolie einpacken darf. Die Reporter und Kamerateams freuen sich natürlich und ergänzen das Chaos mit wildem Blitzlichtgewitter.

Ich glaube man kann sich gar nciht vorstellen wie furchtbar diese Woche mit den vielen Todesopfern gewesen sein muss. Aber schon angesichts der kleineren tragischen Momente, die sich eigentlich tagtäglich abspielen, bildet das Panorama aus unserem Küchenfenster und die generell schöne Stimmung unter den Menschen einen schwer greifbaren Kontrast.

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Es ist jetzt schon 6 Wochen her dass Lukas und ich uns in Marmaris voneinander verabschiedet haben. Während er Rhodos mit den Rad erkundete ging es für mich aufs Boot – eine Woche Urlaub mit meiner ganzen Familie. Der Kontrast zum vor allem körperlich anstrengenden Rad Alltag war heftig – plötzlich waren nicht mehr die Schlafplatz-suche oder Routenplanung wichtige Ziele des Tages, sondern die Frage wie man es schaffen kann zwischen den reichhaltigen und unfassbar köstlichen Mahlzeiten ein Hungergefühl zu entwickeln.

Es war eine Woche luxuriöses Seele baumeln lassen – für meine (von der Sonne vernachlässigten) Familie eine wichtige Erholung und Stärkung für den kalten deutschen Winter. Als Familie hatten wir glaube ich selten so viel Spaß miteinander. Ich war traurig und fühlte mich ein bisschen verloren als ich mich wieder auf den Weg machte. Nach der Zeit mit Lukas, der in den letzten Monaten ja immer bei mir war, über diese wunderschöne Woche mit meiner Familie war das Radeln ohne Begleitung und besonders ohne konkrete Route sehr ungewohnt.

Ganz alleine unterwegs zu sein ist doch sehr anders. Es ist natuerlich total unabhaengig, was schoen ist. Aber es kann auch sehr anstrengend sein, weil man sich nicht mal eben hinter seinem Reisepartner verstecken kann. Und auf unbestimmte Zeit alleine zu sein verstärkt dieses Gefühl, weil man eben nicht nur eine kurze Zeit ohne Begleitung ‘überbrücken’ muss. Ich war zwar nicht planlos – mein Ziel war Molyvos auf Lesbos, wo ich bis Weihnachten als Volunteer arbeiten wollte, aber wie genau ich dort hin komme wusste ich nicht und meinen Lukas mit dem Planungs-Durchblick habe ich schnell vermisst.

Meine ersten Radreise-Versuche alleine waren Kiki-typisch chaotisch, aber zumindest weiß ich nun, dass mein Rad in einen Minibus passt. Und ich weiß wie es sich anfühlt sich bei Nacht mit dem Rad auf eine Autobahn zu verirren, oder das Handy-Gps auch ohne Wifi funktioniert und nützliche Informationen darüber geben kann wie man sich eben nicht Nachts mit dem Rad auf eine Autobahn verirrt und schlussendlich auch das es ab und zu lohnenswert ist sich Hosteladressen vorher aufzuschreiben, statt auf offene Wifi-Netze zu hoffen. Zum Glück gibt es treue Geschwister zu Hause und zahlreiche türkische Männer die mit Rat und Tat zu Seite stehen. Dass ich seit Lukas Abschied allerdings 3 Platten hatte finde ich unnötig (insbesondere angesichts meiner fehlenden Luftpumpe).

Um 2 Uhr nachts erreichte ich mein Hostel in Izmir: Shanti Home.
Der Name hält was er verspricht, Shanti Home ist nicht nur ein Hostel, es ist ein Platz zum bleiben und selten habe ich erlebt dass die Besitzer und das ‘Personal’ (der Begriff passt hier wirklich überhaupt nicht) so aufrichtig herzlich und willkommend sind. Der Ort ist Familie: Auf Donationbasis gibt es jeden Morgen ein riesiges Frühstück, die Küche und alles was es an Essen zu finden gibt ist für jeden frei verfügbar und ebenso Räder, Waschmaschine, Drucker, oder der Computer (alles Donation-based). Das Schöne ist, dass so ein Gefühl von zu Hause auch dazu führt, dass die Leute selber mithelfen, ein bisschen aufräumen, kochen und sich generell, aber irgendwie unterbewusst, mehr Zeit für einander nehmen.

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Izmir ist eine tolle Stadt, viele junge Leute, riesige Maerkte, verwinkelte Strassen und Gassen in denen Okey gespielt und Chai getrunken wird. Man kann endlos lang an der Hafenpromenade spazieren oder sich den ganzen Tag in der Innenstadt verlaufen. Und Strassenmusik! Richtig viel Strassenmusik. Ich habe mich mit Mert, eiem Couchsurfer getroffen und er hat mir viele besondere Ecken gezeigt.

Und doch hat es mich irgendwie gestresst in Izmir zu bleiben – schließlich wollte ich ja als Volunteer mithelfen auf Lesbos und nun hing ich schon 3 Tage in Izmir ‘rum’ – ohne etwas ‘Vernünftiges’ zu machen. Ich habe natürlich nicht nur rumgehangen oder Kaffee getrunken oder so, aber direkt den Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa geholfen habe ich auch nicht.

Im Nachhinein weiß ich meine Izmir-Woche aber sehr zu schätzen. Manchmal erfährt man den Grund für gewisse Schritte und Ereignisse in Leben erst im später und Ich liebe das weil man sich dann von Zweifeln und Fragen, z.B. ob man gerade die richtige Entscheidung getroffen hat, weniger verrückt machen lässt. Für mich war es der beste Ort für diese Zeit. Ich konnte über die vergangenen Monate nachdenken und mich innerlich von der Reise verabschieden – um offen ein neues Kapitel aufzuschlagen. Besonderes wertvoll waren die Begegnungen mit Willi und Urigul. Es waren unfassbar wertvolle, ruhige und herzliche Tage.

Am Ende war es aber dennoch derselbe Gedanke, der mich dann nach 6 Tagen Shanti auf den Weg nach Griechenland trieb. Wäre es nur um mich gegangen, das weiß ich, hätte ich länger bleiben sollen. Vielleicht wäre es sogar nötig gewesen länger zu bleiben. So aber fuhr ich mit dem Bus und viel schöner, neuer Musik auf den Ohren Richtung Ayvalik. Mein Fahrrad von nun an gewappnet mit dem Auge gegen den boesen Blick: Nazar Boncuk.

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