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3 Wochen bin ich nun durchs Baltikum geradelt und ein Fazit fällt mir schwer. Mit der anfänglichen Vorstellung, dass die baltischen Staaten ähnlich sind, lag ich ziemlich daneben. Es war spannend zu sehen, wie sehr sich doch die Länder, Menschen und Mentalitäten unterscheiden – das gilt besonders für die kleinen Orte und auf dem Land. Hätte ich nur eine Städtetour über Tallinn, Riga und Vilnius gemacht, wären die Unterschiede sicher nicht so deutlich geworden.

Estland ist für mich wie ein kleines, komprimiertes, südliches Finnland. Viel Wald, Blaubeeren, herzliche Menschen und verträumte Ortschaften. Der große Vorteil ist, dass alles auf sehr kleinem Raum konzentriert ist. In Finnland fuhr ich teilweise über 200 km von Ort zu Ort; in Estland vergehen selten 10 km ohne eine Ortschaft oder welchelnde Landschaften. Super für Radtouren!

Am schwersten fällt mir eine Fazit zu Lettland – wahrscheinlich weil ich die meiste Zeit in Riga verbrachte und sich die europäischen Metropolen doch alle ähneln. Hier merkte ich das erste mal deutlich, dass ich nicht mehr in Skandinavien bin und empfand die Menschen als ernster und reservierter.

Über Litauen habe ich ja bereits ausführlich berichtet. Die Menschen wirkten hier nicht nur ernst, sondern häufig mürrisch. Auf dem Land leben die Menschen teils in zerfallenden Häusern unter sehr einfachen Verhältnissen. Viele Häuser besitzen einen eigenen Nutzgarten und Acker zur Selbstversorgung. Hier sah ich auch erstmalig auf der Tour, dass Pferde noch zur Feldarbeit eingesetzt werden. Ab Vilnius wandelte sich mein Eindruck von den Litauern, unter anderem durch viele nette Bekanntschaften, verdammt schöne, lebensfrohe Frauen und das heitere Straßenleben in Vilnius. Nach diesen positiven Erfahrungen tut es mir beinahe leid den Post zu den mürrischen Litauern verfasst zu haben. Dies zeigt jedoch, dass eben der Eindruck mit der Zeit differenzierter wird und manchen Ländern, Menschen, Dingen etc. diese Zeit gegeben werden sollte.

Auf geht’s nach Polen!

Was ein Finale im Baltikum! Nachdem ich die letzte Nacht in einem wunderschönen Pinienwald kurz vor Druskininkai übernachtet habe, bin ich auf dem Weg in die Stadt an einer kleinen Wakeboardanlage am Alta See vorbei geradelt. Ich gesellte mich zu den Jungs in die Sonne, quatschte und schaute bei der wilden Wasserakrobatik zu.

Wie einige von euch vielleicht wissen, waren meine ersten und letzten Versuche auf dem Wakeboard nicht sehr erfolgreich: Wie sehr ich es auch wollte, ich bekam meinen Arsch nicht aus dem Wasser und schrammte jedesmal mit den Fingern über die Boardkante. Das Fazit danach war klar – mein Arsch ist einfach zu schwer!

Doch die Litauer ermutigten mich zu einem neuen Versuch und erklärten mir, dass der Start bei so einer Anlage viel einfacher ist als beim Boot, da man förmlich nach oben aus dem Wasser gezogen wird. Na gut.. also rein in den Neopren und ab aufs Board! Wenige Startversuche später stand ich auf dem Board und surfte über den See. Da die Anlage nur einmal quer über den See geht, bremst die Winch kurz vorm Ufer ab und beschleunigt neu in die andere Richtung. In der Zeit muss man irgendwie mit seinem Schwung auskommen und wenden. Obwohl viele Anfänger Schwierigkeiten damit haben, klappte es bei mir auf Anhieb und ich drehte mehrere Runden am Stück über den See.. ein riesen Spaß! Wann immer ihr in Litauen seid, besucht diese Anlage! Der Besitzer ist ein super netter Typ!

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Ähnlich wie das autonome Hippie-Viertel in Kopenhagen “Christiania”, hat das Künstlerviertel Užupis seine Unabhängigkeit von Vilnius und Litauen erklärt. Die Republik Užupis hat ihre eigene Flagge, Währung, Präsidenten, Verfassung (siehe unten) und eine 12 Mann starke Armee, die aber wieder auflöst wurde weil keiner Angst vor ihr hatte. Betritt man Užupis, weist ein Schild auf die wichtigsten Grundregeln hin, unter anderem “Keep Smiling” (dem Präsidenten missfällt der mürrische Gesichtsausdruck vieler Menschen) und ein generelles Tempolimit von 20 km/h.

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Die Republik Užupis und die wichtigsten Regeln

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"Backpacker-Jesus", eine der vielen Skulpturen in Užupis

Die Verfassung von Užupis:

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Mein Weg durch Litauen führte nach Kaunas, Litauens zweitgrößter Stadt mit einem schönen historischen Zentrum. Bis einschließlich Kaunas hat mich Litauen eher enttäuscht, daher lag es eigentlich nahe von Kaunas schnell über die polnische Grenze zu radeln. Aber ich wollte Litauen noch eine Chance geben und entschloss den großen Umweg (ca. 2 Tagesetappen mehr) über Vilnius zu fahren – und es hat sich gelohnt!

Vilnius ist eine wunderschöne Stadt mit einer verhältnismäßig großen Altstadt und über 50 Kirchen. Im Gegensatz zu Riga und Tallinn ist der Stadtkern weniger gedrungen und die Stadt scheint viel weniger Touristen anzuziehen. Es war ein seltener Genuss in der Stadt zu sein und aufgrund der Weitläufigkeit trotzdem durchatmen zu können. Entgegen meiner ursprünglichen Plans verweile ich nun schon den dritten Tag hier mit netten Menschen (auch Litauern!). Morgen solls entlang der weissrussischen Grenze weiter Richtung Polen gehen, aber das habe ich gestern auch schon gesagt.

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Bisher ist es mir nirgendwo so schwer gefallen mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen wie in Litauen. Viele Litauer wirken verschlossen, mürrisch oder melancholisch. Grüße oder lächel ich, werde ich meist nur entgeistert angeschaut. Auf Wikitravel fand ich folgende Textstelle, die meine Erfahrungen – vielleicht etwas überspitzt – bestätigt:

“Lithuanians may appear sad, depressive (suicide rates in Lithuania are among the highest in the world), a little bit rude and suspicious, so talking about your good health, wealth, and happiness could be sometimes taken negatively. Smile at a Lithuanian in the street and most likely they will not respond in kindness. Smiling in Lithuania is traditionally reserved for friends; smile at a stranger and they will either think you’re making fun of them and there’s something wrong with their clothes or hairdo, or that you must be an idiot.”

Ich habe lange probiert das Verhalten mit der Geschichte Litauens und dem Lebensstandard zu begründen. Letztendlich sind mir aber mindestens genauso viele Gegenbeispiele eingefallen, dass eben diese Faktoren nicht mit dem Wohlergehen und der Lebensfreude korrelieren. Und wem schadet ein Lächeln und eine positive Lebenseinstellung schon?

In Tromsø kaufte ich mir das Buch “Thinking, fast and slow” von Daniel Kahneman – sehr zu empfehlen. Kahneman zitiert dort viele spannende Studien, unter anderem auch Untersuchungen, wie der Gesichtsausdruck die Wahrnehmung und Bewertung der Umwelt beeinflußt. Um einen lächelnden oder mürrischen Gesichtsausdruck zu simulieren, sollten die Probanden einen Stift auf zwei unterschiedliche Arten in den Mund nehmen: Der Stift quer zwischen den Zähnen entspricht einem Lächeln; wird der Stift mit der Spitze nach vorne zwischen den Lippen gehalten, scheint der Gesichtsausdruck mürrisch. Anschließend wurden verschiedene Situationen gezeigt und die Probanden sollten diese bewerten. Die Ergebnisse sind eindeutig: Insgesamt führt der lächelnde Gesichtsausdruck zu einer Wahrnehmung, die deutlich optimistischer, heiterer, positiver etc. ausfällt. Das heißt mit einem Lächeln beglücken wir nicht nur unsere Mitmenschen, sondern bereichern auch unser Leben!

Also liebe Litauer: Lacht doch mal! Oder schiebt euch einen Stift zwischen die Zähne, aber bitte quer :)

Es ist mal Zeit einen Post meinem Velo, dem treuen Begleiter, zu widmen; Abgesehen vom vorderen Reifen hat das Rad alles anstandslos mitgemacht.

In Helsinki bekam ich das erste Care-Paket aus Aachen mit Teilen fürs Rad, Büchern, Kartenmaterial und allerlei Leckereien, die in Skandinavien so schmerzlich teuer sind.

Nach 7000 km war es mal Zeit für eine neue Kette und einen neuen Reifen. Obwohl der hintere Reifen (Marathon Deluxe) die meiste Last tragen muss, verschliss der vordere (Continental TravelContact) viel schneller. Also gab’s auch für vorne einen Marathon Deluxe in extra breit (50 mm) und extra schwer.

Das wichtigste Upgrade war jedoch der winzige Rückspiegel (Zefal Spy): Schon in Finnland fuhren die Autofahrer rücksichtsloser als ich das von der Tour bisher gewöhnt war, zudem versprachen die baltischen Staaten und Polen kein Besserung. Und tatsächlich scheinen sich viele Autofahrer im Baltikum einen Dreck um die Radfahrer zu scheren und gönnen einem teilweise nur wenige Zentimeter Platz. Um solche Idioten schon vorab zu identifizieren und auszuweichen, ist ein Blick nach hinten meist nicht möglich, weil man dabei oft ein wenig schlenkert oder drohende Schlaglöcher übersehen kann. Mittlerweile will ich den kleinen Spiegel nicht mehr missen. Trotz der geringen Größe und stärken Verzerrung ist es damit möglich den Verkehr im Rücken zu beobachten und trotzdem den Fokus nach vorne zu halten.

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Das gute Stück

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Mein "Cockpit" mit neuem Rückspiegel

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Straße in Lettland. Hier folgt auf jede Unaufmerksamkeit meist ein Schlag mit anschließendem Winseln oder Fluchen

Mittwoch kam ich klatschnass in Riga an und verweilte zwei Tage in einem Hostel direkt im Stadtzentrum.. Endlich konnte ich mal alle Klamotten trocknen, mich der Körperpflege widmen und ausgiebig die Stadt erkunden. Riga ist super schön und nicht mit Tallinn zu vergleichen. Hier dominieren mehr prunkvolle Häuser im Jugendstil als mittelalterliche Bauten das Stadtbild.

Helmut, ein deutscher Rentner aus dem Hostel, der seit über 40 Jahren mehrere Monate im Jahr in Riga verbringt, resümiert über die Schönheit der Stadt: “Auf dem morgendlichen Weg zum Café sehe ich mehr schöne Frauen als in einem ganzen Jahr in Deutschland.”

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Marktplatz

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Hab ich mich verfahren? Ne, die Bremer Stadtmusikanten gibt's auch in Riga

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Typische Gasse durch die Altstadt

Was für ein verrücktes Wochenende in Estland! Samstag schien endlich wieder die Sonne, zwar war es noch recht kühl, aber mir war nach einem Bad in der Ostsee. Also radelte ich zu einem Strand mit legaler und kostenloser Campingmöglichkeit, den Antero mir empfohlen hatte und ich war überrascht: So einen schönen Sandstrand hätte ich mir Estland nie in Verbindung gebracht.

Nach dem erfrischenden Bad in der Ostsee traf ich 3 Esten, die mit dem gleichen Ziel angereist waren. Sie erzählen mir, dass wenige hundert Meter weiter am Strand ein Flunder-Festival ist. Die Flunder werden direkt aus dem Meer gefischt, geräuchert und an die hungrigen Besucher verkauft. Als Bonus gab es gab noch einen Wettbewerb, wer die meisten und größten Flunder angelt. Sie bestanden darauf, dass ich einen dieser platten Fische probieren muss und spendierten mir eine Portion.

Während ich probierte den Fisch zu essen (garnicht so einfach) unterhielt sich Teet, einer der drei Esten, fleißig mit den anderen Besucher. Gerade hatte ich aufgegessen, winkte er mich zu der mobilen Sauna herüber. Er hat mit dem Besitzer abgemacht, dass wenn ich mit Fahrradhelm in die Sauna gehe, diese für mich kostenlos ist. Yeah! Also Klamotten runter und Helm angezogen und schon saßen Teet und ich in der Sauna und schwitzten bei einem kühlen Bier, das mir eine nette Estin in die Hand gedrückt hat. Das beste daran war die Abkühlung: Wir mussten nur 100 m durch den Sand laufen um dann nackig in die Ostsee zu springen. Ein Traum!
Auf dem Rückweg vom ersten Saunagang kamen wir einer anderen Gruppe ins Gespräch, die so angetan von der Radtour waren, dass sie unbedingt mit Wodka anstoßen wollten.

Nach dem zweiten Saunagang fing es langsam an zu regnen und die gesamte Meute versammelte unterm Pavillon, wo auch noch eine Band spielte. Kaum hatte ich mein Bier ausgetrunken, bekam ich von netten Bekanntschaften ein Neues in die Hand gedrückt – und das den ganzen Abend. Der Versuch mit einem deutschen Ehepaar, die auch mit dem Rad unterwegs waren, zu quatschen wurde mehrfach dadurch unterbrochen, dass ich wieder auf die “Tanzfläche” gezerrt wurde um mit einer fröhlichen Dame im Sand zu tanzen – ich war verwundert, dass sie bei den Mengen an Alkohol überhaupt noch Tanzen konnte. Je später der Abend, desto schwieriger ist es für mich die ganzen Geschehnisse zu sortieren.. Ist aber auch egal, es war grandios! Natürlich habe ich während dessen an alles andere gedacht als Fotos zu machen. Daher gibt’s nur Fotos vom Strand am nächsten Morgen..

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