Die 4 Tage in der Ukraine waren letztenendes doch einprägsamen als wir es Anfangs erwartet hatten. Eigentlich war die Ukraine für uns nur ein Transitland, welches man – um dem Karpartenbogen zu folgen – durchqueren “musste” . Unser prinzipielles Ziel uns über die bereisten Länder und die aktuelle politische Lage zu informieren sowie die zahlreichen Bekanntschaften mit Ukrainiern, ließ uns dann doch tiefer in Land und Kultur eintauchen.
Ein paar Hintergrundinfos wollten wir vorab teilen: (Quelle: Wikipedia und Reiseführer)
- Die Ukraine ist das ärmste Land Kontinentaleuropas mit einem Durchschnittsstundenlohn von 2,20 € in Kiew, zum Westen hin nimmt dieser noch ab.
- Der Staatshaushalt der Ukraine war 2009 um 30% des BIP verschuldet, in 2015 waren es 80% (drohender Staatsbankrott)
- Seit dem Zerfall der SU ist die Ukraine politische Schnittstelle Europas und Asiens was das grosse Interesse Russlands und Europas an dem Land erklaert. 2004 fuehrte Präsident Juschtschenko einen pro-europaeischen Kurs, der aber mit Janukowitsch wieder abegewendet wurde.
- Politisch ist seit 2014 ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterschrieben worden, welches auch eine Freihandelszone mit einschliesst.
- Seit der Krimkrise wurden 4 Menschengrundrechte vorübergehend aufgehoben: das Recht auf Freiheit und Sicherheit, auf eine faires Gerichtsverfahren und auf Schutz des Familienleben.
- Durch die fruchtbare Schwarzerde herrscht Landgrabbing multinationaler Unternehmen, seit 2002 sind 1,6 Millionen Hektar vergeben worden.
Wie haben wir die Ukraine kennengelernt?
Gleich zu Beginn konnte man spüren, dass wir uns wirklich in einem fremden, neuen Land befinden. Mal ganz abgesehen davon, dass die Markenzeichen Europas (Lidl und Kaufland) nicht mehr anzutreffen sind, fallen zuerst die anderen Autofabrikate auf: Eckige Kastenwagen, meistens mit verdunkelten Fensterscheiben, und aus dem Innenraum, der meist mit Zebra-, Leoparden- oder Tigerbezuegen ausgekleidet ist, dröhnt lauter Hiphop oder Metalmusik. Die erste Stadt hinter dem Grenzuebergang “Velykyi Bereznyi” hatte fuer uns nicht viel zu bieten: Eine grosse, staubige Strasse mit ein paar Cafes, Restaurants und Supermärkten. Dazu umherschlendernde Menschen von denen insbesondere die Männer uns teils mit uninterressierter, teils misstrauischer Miene beäugten. Das Cafe als absolute Männerdomäne (allerdings von Frauen bewirtschaftet) erlebten wir in der gesamten Ukraine. Interessanterweise wurden an den gemischten Tischen die Frauen nicht begrüßt. Es erschien uns als sei es angesagt möglichst hart und stark zu wirken, was den meisten Männern oder Jungs eine leicht aggressive Ausstrahlung verlieh. Wir verließen die Stadt auf eine Strasse, die mehr aus Schlaglöchern bestand, mit einem recht mulmigen Gefühl. Das wurde zusätzlich davon verstärkt, dass uns bei den Preisen wieder bewusst wurde wie priviligiert wir eigentlich sind: Ein Bier, eine Suppe oder ein Kaffee kostet umgerechnet 40 Cent. Und alleine sich Urlaub leisten zu können und visumsfrei durch Europa zu reisen bleibt für die Meisten hier ein Traum.
Das unbehagliche Gefühl verflog dann allerdings bereits am ersten Tag. Wir begaben uns langsam in das bergige Hinterland, dass hauptsächlich von Familien mit kleinen Subsistenzbetrieben bewohnt wird. Da die Dörfer oft nur aus einer einziegen Strasse bestehen, ziehen sich diese kilometerweit durchs Land und so lernten wir was es bedeutet auf ziellosen Strassen zu fahren. Für uns boten sie ein einzigartiges und sehr buntes Schauspiel des tagtäglichen Lebens. Die Menschen, die das Vieh in den frühen Morgenstunden auf die Wiesen treiben, oder beim grasen begleiten; Pferde, Kühe, Hühner – alle laufen frei herum und werden abends mit einem Stück Brot in den Stall gelockt; viel Landwirtschaft mit ganzen Familien, die man tagsüber auf den Feldern beobachten konnte. Die Armut fällt in dem Kontext wenig auf, da die Familien quasi Selbstversorger sind. Neben Vieh und Acker verfügt praktisch jedes Haus über einen eigenen Gemüsegarten.
Wenn auch die Häuser meistens von wunderschönen und liebevoll gestalteten Gärten umgeben sind, befindet sich stets vor dem grundstücksumgrenzenden Zaun eine kleine Bank, auf welcher Jung und Alt insbesondere die Abendstunden im Tratsch mit den Nachbarn oder den Vorbeifahrenden (so wie uns) verbringt. Es gab wirklich immer wieder neue Dinge zu entdecken und wir stießen auf viele lachende und erstaunte Gesichter, die unsere “Dobrih Dehns” aber stets freundlich erwiederten. Zwischendurch bot sich in regelmäßigen Abständen der imposante Anblick auf eine der kleinen (aber prächtigen) Kirchen. Teilweise sogar noch in Bau, thronen hier auf den Kirchtürmen glänzende Silber oder goldene Kuppeln, die Kiki irgendwann nur noch ‘blingblings’ nannte – teilweise richtig kitschig in einem Ozeanblau mit goldenen Sternen. Alles, von der Farbe, den Verzierungen und den Formen wirkt imposant und doch irgendwie fremd in dem sonst sehr ursprünglich und uhrigen Stil der Familienhäuser.
Die Landschaft ist nach wie vor ein Traum. Wir geniessen vorallem die fruehen Morgenstunden, die die Berge und Taeler in so ein wunderschönes Licht eintauchen lassen. Die meiste Zeit radelten wir entlang von Flüssen, die bei den 35 Grad im Schatten willkomme und nötige Abkühlung boten.
Bemerkenswert sind noch die ukrainischen Frauen, die uns in den Dörfern begegneten. Während die ältere Generation der Frauen dem klassischen Bild einer Bauersfrau (leicht korpulent, wankender Schritt, Schürze, Kopftuch, leicht klobige Schuhe, von Sonne markiertes Gesicht) entspricht, so ist die jüngeren Frauen- und Müttergeneration sehr schick unterwegs. Auch auf den unebensten und gerölligen Strassen sieht man die ukrainischen Frauen in Spitzenstatur, mit hochgesteckten Haaren, auf Highheels und in körperbetonten Kleidern unterwegs. Stilsicher und selbstbewusst schieben sie so auch Kinderwagen und tragen die Einkäufe. Die Frauen wirken stolz und stark.
Die Männer – allerdings eher die, die man in den Cafes antrifft – wirken hier oft ein bisschen verbraucht. Alkohol und Rauchen sind hier auch früh am Morgen kein ungewohntes Bild und spätestens ab Mittags treffen sich hier die Männer und trinken gemeinsam. Viele wirken ein bisschen verrückt und meistens sehen genau diese in uns willkommene Gesprächspartner. Dass wir kein Wort Ukrainisch verstehen, ist für sie dann schwer zu verstehen. Das kann leider auch nicht durch eine immer lauter werdende Stimme oder festes, feeeestes Armdrücken (Lukas’ Arm) verändert werden. Einmal wurde es auch mit Augenstechen (Lukas’ Augen) versucht. Haha :D
Neben diesen Bekanntschaften haben wir richtig tolle Menschen kennengelernt. Mit einem älteren Mann in einer Kneipe, der den Schelm im Nacken sitzen hatte, haben gleich am ersten Tag ein Bier getrunken. Dann Olla und Vova, ein Pärchen, die in den Karpaten Wandern waren und uns zum ersten mal seit 4 Tagen die Speisekarte übersetzen konnten. Sie machten uns wieder bewusst, wie schwierig das Reisen für Ukrainier ist, die durch EU-Visa und die schlechte finanzielle Lage des Landes nicht die Möglichkeit haben sich Urlaub außerhalb der Landesgrenzen zu leisten (und uns dennoch auf unser Essen eingeladen hätten). Wenn sie die Ukraine verlassen, dann höchstens nach Polen – alle anderen Länder sind zu teuer und auch Polen ist mit dem aktuellen Dollarkurs für sie einfach nicht machbar. Dann Iwan (mit zwei Diploma: Eins als Zahnarzt und eins in der Liebe), der uns auf der Strasse anquatschte um uns mit seinem MTB einen Pass hinauf zu begleiten und uns oben auf einen Tee einzuladen (grün und so stark, dass wir bis 4 Uhr wach lagen). Durch Iwan fanden wir unseren bislang traumhaftesten Schlafspot direkt auf der Passhöhe.
Und nicht zuletzt die vielen kleinen Begegnungen mit Cafe- und Restaurant-Personal. Als wir (steinreiche EU-Schnösel) einmal zu wenig Geld dabei hatten um das Essen zu zahlen, wollten sie uns den Restbetrag erlassen! Generell waren diese Begegnungen auf Grund der Sprachsbarriere immer lustig, insbesondere wenn wir erklären wollten, dass wir Vegetarier sind (lautes Grunzen und weitere Tiergeraeusche). Kulinarisch waren wir ein bisschen eingeschränkt auf Wareniki (Teigtaschen gefüllt mit Kartoffellpüree oder Käse) und Borschtsch (Rote Beete Suppe) – trotzdem lecker! Insgesamt wir haben die Ukraine mit einem guten Gefühl verlassen. Von der Krim Krise haben wir hier in der Karpatenukraine – auch auf explizite Nachfrage – übrigens gar nichts mitbekommen.
Bis zum nächsten Mal, Urkaine!