Es ist mal Zeit einen Post meinem Velo, dem treuen Begleiter, zu widmen; Abgesehen vom vorderen Reifen hat das Rad alles anstandslos mitgemacht.

In Helsinki bekam ich das erste Care-Paket aus Aachen mit Teilen fürs Rad, Büchern, Kartenmaterial und allerlei Leckereien, die in Skandinavien so schmerzlich teuer sind.

Nach 7000 km war es mal Zeit für eine neue Kette und einen neuen Reifen. Obwohl der hintere Reifen (Marathon Deluxe) die meiste Last tragen muss, verschliss der vordere (Continental TravelContact) viel schneller. Also gab’s auch für vorne einen Marathon Deluxe in extra breit (50 mm) und extra schwer.

Das wichtigste Upgrade war jedoch der winzige Rückspiegel (Zefal Spy): Schon in Finnland fuhren die Autofahrer rücksichtsloser als ich das von der Tour bisher gewöhnt war, zudem versprachen die baltischen Staaten und Polen kein Besserung. Und tatsächlich scheinen sich viele Autofahrer im Baltikum einen Dreck um die Radfahrer zu scheren und gönnen einem teilweise nur wenige Zentimeter Platz. Um solche Idioten schon vorab zu identifizieren und auszuweichen, ist ein Blick nach hinten meist nicht möglich, weil man dabei oft ein wenig schlenkert oder drohende Schlaglöcher übersehen kann. Mittlerweile will ich den kleinen Spiegel nicht mehr missen. Trotz der geringen Größe und stärken Verzerrung ist es damit möglich den Verkehr im Rücken zu beobachten und trotzdem den Fokus nach vorne zu halten.

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Das gute Stück

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Mein "Cockpit" mit neuem Rückspiegel

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Straße in Lettland. Hier folgt auf jede Unaufmerksamkeit meist ein Schlag mit anschließendem Winseln oder Fluchen

Mittwoch kam ich klatschnass in Riga an und verweilte zwei Tage in einem Hostel direkt im Stadtzentrum.. Endlich konnte ich mal alle Klamotten trocknen, mich der Körperpflege widmen und ausgiebig die Stadt erkunden. Riga ist super schön und nicht mit Tallinn zu vergleichen. Hier dominieren mehr prunkvolle Häuser im Jugendstil als mittelalterliche Bauten das Stadtbild.

Helmut, ein deutscher Rentner aus dem Hostel, der seit über 40 Jahren mehrere Monate im Jahr in Riga verbringt, resümiert über die Schönheit der Stadt: “Auf dem morgendlichen Weg zum Café sehe ich mehr schöne Frauen als in einem ganzen Jahr in Deutschland.”

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Marktplatz

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Hab ich mich verfahren? Ne, die Bremer Stadtmusikanten gibt's auch in Riga

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Typische Gasse durch die Altstadt

Was für ein verrücktes Wochenende in Estland! Samstag schien endlich wieder die Sonne, zwar war es noch recht kühl, aber mir war nach einem Bad in der Ostsee. Also radelte ich zu einem Strand mit legaler und kostenloser Campingmöglichkeit, den Antero mir empfohlen hatte und ich war überrascht: So einen schönen Sandstrand hätte ich mir Estland nie in Verbindung gebracht.

Nach dem erfrischenden Bad in der Ostsee traf ich 3 Esten, die mit dem gleichen Ziel angereist waren. Sie erzählen mir, dass wenige hundert Meter weiter am Strand ein Flunder-Festival ist. Die Flunder werden direkt aus dem Meer gefischt, geräuchert und an die hungrigen Besucher verkauft. Als Bonus gab es gab noch einen Wettbewerb, wer die meisten und größten Flunder angelt. Sie bestanden darauf, dass ich einen dieser platten Fische probieren muss und spendierten mir eine Portion.

Während ich probierte den Fisch zu essen (garnicht so einfach) unterhielt sich Teet, einer der drei Esten, fleißig mit den anderen Besucher. Gerade hatte ich aufgegessen, winkte er mich zu der mobilen Sauna herüber. Er hat mit dem Besitzer abgemacht, dass wenn ich mit Fahrradhelm in die Sauna gehe, diese für mich kostenlos ist. Yeah! Also Klamotten runter und Helm angezogen und schon saßen Teet und ich in der Sauna und schwitzten bei einem kühlen Bier, das mir eine nette Estin in die Hand gedrückt hat. Das beste daran war die Abkühlung: Wir mussten nur 100 m durch den Sand laufen um dann nackig in die Ostsee zu springen. Ein Traum!
Auf dem Rückweg vom ersten Saunagang kamen wir einer anderen Gruppe ins Gespräch, die so angetan von der Radtour waren, dass sie unbedingt mit Wodka anstoßen wollten.

Nach dem zweiten Saunagang fing es langsam an zu regnen und die gesamte Meute versammelte unterm Pavillon, wo auch noch eine Band spielte. Kaum hatte ich mein Bier ausgetrunken, bekam ich von netten Bekanntschaften ein Neues in die Hand gedrückt – und das den ganzen Abend. Der Versuch mit einem deutschen Ehepaar, die auch mit dem Rad unterwegs waren, zu quatschen wurde mehrfach dadurch unterbrochen, dass ich wieder auf die “Tanzfläche” gezerrt wurde um mit einer fröhlichen Dame im Sand zu tanzen – ich war verwundert, dass sie bei den Mengen an Alkohol überhaupt noch Tanzen konnte. Je später der Abend, desto schwieriger ist es für mich die ganzen Geschehnisse zu sortieren.. Ist aber auch egal, es war grandios! Natürlich habe ich während dessen an alles andere gedacht als Fotos zu machen. Daher gibt’s nur Fotos vom Strand am nächsten Morgen..

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Von Helsinki gings direkt mit der Fähre nach Tallinn. Eigentlich keine große Sache, aber wegen des starken Windes wurden alle Schnellfähren gecancelt und die großen Fähren waren fast alle ausgebucht. Mit viel Glück bekam ich noch ein sehr günstiges Ticket (17 €) für eine langsame Fähre für 2000 Personen. Von Ausbau gleicht die Fähre mehr einem Kreuzfahrtschiff: So saß ich 3 Stunden lang in einer trendy Bar mit Livemusik und schaute den Menschen beim essen, trinken, tanzen und duty-free-shoppen zu. Wie jedesmal bei längeren Fährfahrten fühlte ich mich vollkommen fehlplaziert und konnte den offensichtlichen Genuss der anderen Passagiere nicht nachempfinden. In meinem momentanen Rhythmus und Zustand ist mir solch ein Reisetempo einfach zu schnell, aber vielmehr vermisse ich den unmittelbaren Kontakt zur Umwelt.

Als endlich die Skyline von Tallinn am Horizont erschien, konnte ich es kaum erwarten das Schiff zu verlassen und in das neue Kapitel der Radreise – die baltischen Staaten – zu starten. Um die Stadt ausgiebig erkunden zu können, habe ich mich zwei Tage lang in einem günstigen Hostel in der Altstadt einquartiert. Tallinn, besonders der historische Kern, ist ein Traum! Hier kann man stundenlang durch kleine Gassen mit Kopfsteinpflaster schlendern, wunderschöne Altbauten, Höfe und Kirchen bewundern und für wenig Geld in Cafés, Bars und Restaurants das Leben genießen. Lustig ist, das man hier persönlich in Restaurants und andere Geschäfte eingeladen wird und das scheint keine Touristenfalle sondern eine höfliche Geste zu sein. Allerdings bin ich etwas irritiert, weil mich eine Frau in einer großen Traube von Menschen zielstrebig ansteuerte und mir einen Flyer für erotische Massagen in die Hand drückte. Sehe ich etwa so unrelaxt oder sexuell frustriert aus?

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Die Altstadt Tallinns bei Nacht

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Eine Kreuzfahrt, die ist lustig.. Oder auch nicht

Nach 3 Wochen in Finnland bin ich Dienstag in Helsinki angekommen. Damit endet nicht nur die Zeit in Finnland sondern auch noch eine lange, intensive und wunderschöne Zeit in Skandinavien. Eins ist sicher: Ich werde wiederkommen!

Über Warmshowers (Couchsurfing für Radreisende) habe ich Antero und Kirsi kontaktiert, die mich herzlich für eine Nacht in ihrer Wohnung nahe des Zentrums beherbergt haben. Als ich Abends ankam konnte ich erstmal ausgiebig duschen und die Klamotten in die Waschmaschine werfen (die letzte Wäsche ist 7 Wochen her). Anschließend war bereits das Abendessen zubereitet. Köstlich! Antero ist selber schon viel durchs die baltischen Staaten sowie durch Polen geradelt und konnte mir viele Tipps für die kommenden Wochen geben. Ein spitzen Finale in Skandinavien!

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Temporäres Kunstwerk im Stadtzentrum, das mir sehr gut gefallen hat :)

Regen, Regen und zwischendurch kommt immer mal wieder die Sonne raus. Nach soviel Glück mit dem Wetter in Skandinavien ist das aber schon in Ordnung :) Gemein war nur der permanente und heftige Wind, der natürlich immer von vorne wehte und die langen Tagesetappen sehr erschwerte.

Ab Kuopio schlängelte mich durch kleinere Orte und den Nationalpark Leivonmäki zum zweitgrößten See Finnlands Päijänne, der südlich von Jyväskylä liegt. Entlang des Ostufers verläuft eine idyllische Straße die bis kurz vor Lahti führt; Von da aus sind es nur noch 100 km bis Helsinki. Jihaaa!

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Mal wieder Wälder und Seen, aber sehr schön! Zwischen den Bäumen wachsen überall Blaubeeren

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Uferstrasse entlang des Sees Päijänne

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Die Energiebilanz muss stimmen: 1 Liter Reis mit Pesto + 0,4 Liter Reis mit Kakaopulver als Nachtisch

Umgeben von unzähligen Seen liegt Kuopio, die mit 100000 Einwohnern wohl letzte größere Stadt vor Helsinki (noch ca. 400 km)..

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Blick über die Stadt vom Puijo Tower

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Nachtlager in Kuopio. Da ich keine Lichtung finden konnte, musste ich selbst Hand anlegen und ein paar Bäume entwurzeln ;)

Bisher habe ich in Finnland probiert möglichst die 3-stelligen Landstraßen zu nutzen, weil diese in der Regel asphaltiert und kaum frequentiert sind. Doch jedesmal wenn ein Stück Schotterpiste dabei war, hatte ich direkt mehr Spaß.. Einerseits passen die Straßen viel besser in die natürliche Umgebung und andererseits bin ich stets damit  beschäftigt Steinen und Schlaglöchern auszuweichen.

Also suchte ich mir nach Kuopio nur kleine Schotterwege raus. Bei trockenem Wetter rollt es sich auf diesen Wegen beinahe wie auf Asphalt, leider regnete es stark und so kämpfte ich mich 100 km durch nassen steinigen Sand. Nachdem ich von Schweiß und Regen durchnässt war, tauchte aus dem Nichts eine Hütte am See mit Steg, Feuerstelle, Feuerholz und Plumplsklo auf. Ein Traum, vorallem nach den Strapazen!

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